Grässlin kritisiert geplanten Waffenexport an den Irak

"Folgenschwerer Präzedenzfall"

Waffenlieferung in den Irak: Ja, oder nein? Der Bundestag berät am Montag darüber, ob die im Norden kämpfenden Kurden mit Waffen unterstützt werden sollen. Rüstungsgegner Jürgen Grässlin hält diesen Plan für illegal.

Soldaten der kurdischen Peschmerga im Nordirak (dpa)
Soldaten der kurdischen Peschmerga im Nordirak / ( dpa )

KNA: Herr Grässlin, im Nordirak kämpfen Kurden gegen die IS-Milizen - sind Waffenlieferungen der richtige Weg, um dem Terror der Islamisten gegen die Zivilbevölkerung ein Ende zu setzen?

Jürgen Grässlin (Rüstungskritiker und Buchautor): Definitiv nicht, weitere Waffenlieferungen in das Pulverfass des Nahen und Mittleren Ostens wären ein ebenso fataler wie folgenschwerer Fehler. Waffenexporte wirken mittel- und langfristig destabilisierend, sie sind somit äußerst verantwortungslos und im Endeffekt kontraproduktiv. Mit Kriegswaffenlieferungen in den Irak würde die Bundesregierung die Jahrzehnte währende Tradition deutscher Waffentransfers in Krisen- und Kriegsgebiete ungehemmt fortsetzen.

Anmerk.d.Red.: Die deutsche Rüstungsindustrie beschäftigte im Jahr 2011 bundesweit 100.000 Menschen direkt, weitere 220.000 zudem in Zuliefererbetrieben. Weltweit steht Deutschland auf Platz 3 der Waffenexporte, in Europa sogar auf Platz1. Die Zahl der deutschen Rüstungsfirmen lässt sich jedoch nur schwer ermitteln. - In einem Interview mit der "Bild am Sonntag" bestritt Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eine Militarisierung der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik. Vorrang hätten weiterhin die Diplomatie und der wirtschaftliche Aufbau von Ländern, so von der Leyen.

KNA: Aber handelt es sich diesmal nicht vielleicht tatsächlich um einen Sonderfall?

Grässlin: Neu ist, dass diesmal ein nichtstaatlicher Akteur in einem Krieg beliefert werden soll. Einmal mehr würde Deutschland Kriegswaffen und Rüstungsgüter in eine Region exportieren, in der es an vielem mangelt, am allerwenigsten aber an Waffen. Die Behauptung, Menschenrechte im Irak und in der Region des Nahen und Mittleren Ostens schützen zu wollen, ist angesichts der langjährigen Waffenlieferungen an menschenrechtsverletzende Staaten - allen voran an das wahhabitische Herrscherhaus in Saudi-Arabien, aber auch in den Iran, Irak und Israel - heuchlerisch und verlogen. Wer Waffen in das Kriegsgebiet Irak liefert, gießt ins Öl ins Feuer eines Krieges. Schon jetzt wird mit zuvor gelieferten deutschen Kriegswaffen - allen voran Sturmgewehren - Mord und Massenmord im Nahen und Mittleren Osten verübt.

KNA: Führende Vertreter der beiden Kirchen zeigen sich in engen Grenzen offen für Waffenlieferungen oder eine militärische Intervention im Fall Nordirak - halten Sie eine der beiden Optionen für vertretbar?

Grässlin: Die Offenheit einiger Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen für Kriegswaffenlieferungen in den Irak erklären sich aus dem verzweifelten Versuch, Abertausenden von Menschen in Not helfen zu wollen - was angesichts des skrupellosen Vorgehens des IS ganz und gar nachvollziehbar ist. Wenn Deutschland Verantwortung übernimmt und in diesen Krieg eingreift, dann ist dies richtig und wichtig.

KNA: Aber?

Grässlin: Allerdings muss sich Deutschland dabei endlich auf allen Ebenen als Weltfriedensmacht definieren. Diese Zielvorgabe schließt Waffenlieferungen definitiv aus und verlangt stattdessen politische Einflussnahme auf die befreundeten Staaten Türkei, Saudi-Arabien und Katar, die die Terroreinheiten des "Islamischen Staats" ausrüsten beziehungsweise finanzieren. Und sie verlangt von Deutschland eine Vervielfachung humanitärer Leistungen und der Flüchtlingsaufnahme. Genozide müssen aktiv verhindert werden - genau deshalb bedarf es der Schaffung von Fluchtwegen und der aktiven Fluchthilfe, verbunden mit massiver humanitärer Unterstützung.

Anmerk.d.Red.: Aus Sicht christlicher und jesidischer Verbände reicht die geplante Lieferung deutscher Waffen an die Kurden nicht aus, um den Terror der Miliz Islamischer Staat gegen religiöse Minderheiten zu stoppen. Dringend notwendig sei eher eine Schutzzone der Vereinten Nationen in den Siedlungsgebieten der Christen und Jesiden, erklärten die Vorsitzenden des Diözesanrats der Syrisch-Orthodoxen Kirche, Raid Gharib, und des Zentralrats der Jesiden, Telim Tolan. Jesiden, Christen und andere Minderheiten stünden an einem "existenziellen Scheideweg".

KNA: Der Bundestag will am Montag über das Thema Waffenlieferungen debattieren. Was für ein Signal könnte oder sollte von dieser Debatte ausgehen?

Grässlin: Das schlimmste Signal wäre, dass der Bundestag den definitiv rechtswidrigen Waffenexporten an die Kombattanten der Peschmerga zustimmt und damit sowohl das Grundgesetz als auch Völkerrecht bricht.

KNA: Sie halten ein derartiges Vorgehen also für illegal?

Grässlin: Artikel 25 des Grundgesetzes legt fest, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. Artikel 26 des Grundgesetzes verpflichtet Deutschland, für das friedliche Zusammenleben der Völker einzutreten. Gemäß den beiden Ausführungsgesetzen, dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG), kommen Exporte nicht in Betracht, wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht, so bei bewaffneten internen Auseinandersetzungen. Mit der Lieferung von Kriegswaffen verstößt die Bundesregierung gegen das Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen von 1949. Schließlich hat die UN-Charta das frühere Recht eines souveränen Staates, einen Krieg führen zu können, abgeschafft.

KNA: Was bedeutet das unter dem Strich?

Grässlin: Waffenexporte in das Bürgerkriegsland Irak sind grundgesetz- und völkerrechtswidrig. Sollte die Bundesregierung, unterstützt von einem Votum des Deutschen Bundestags der Kriegswaffenlieferung an die Kämpfer der Peschmerga zustimmen, wird Deutschland zur Kriegspartei. In diesem Sinne begeht die Bundesregierung definitiv Rechtsbruch - was für ein katastrophaler und folgenschwerer Präzedenzfall.

Von Joachim Heinz


Deutschland berät über eine mögliche Waffenlieferung in den Irak (dpa)
Deutschland berät über eine mögliche Waffenlieferung in den Irak / ( dpa )
Quelle:
KNA , dpa , DR