Erzbischof Nona fordert deutsche Unterstützung

"Mein Bischofssitz ist jetzt Hauptquartier des IS"

Im Kampf gegen die Terrormiliz IS fehlt dem Westen zunehmend eine Strategie. Nun dringt der Zentralrat der Jesiden in Deutschland auf eine UN-Schutzzone für Verfolgte im Nordirak. Auch der Erzbischof von Mossul fordert mehr Mut.

Kämpfer der kurdischen Peschmerga-Einheit (dpa)
Kämpfer der kurdischen Peschmerga-Einheit / ( dpa )

KNA: Herr Erzbischof, wie ist die derzeitige Lage der christlichen und jesidischen Flüchtlinge im Nordirak?

Erzbischof Nona (chaldäisch-katholischer Erzbischof von Mossul): Sie ist katastrophal. Und sie droht noch schlimmer zu werden. Die mehr als 100.000 vertriebenen Christen und Angehörige anderer Minderheiten aus Mossul und den christlichen Dörfern leben nun in Erbil und der Umgebung.

KNA: Wie sind die Lebensbedingungen?

Nona: Die Menschen konnten nur mitnehmen, was sie am Leib trugen. Es fehlt an allem, Wasser, Lebensmittel, Wohnraum. Sie sind in leerstehenden Gebäuden, öffentlichen Schulen oder Kirchen untergekommen. 30 bis 40 Personen teilen sich ein Klassenzimmer. Viele leben auf der Straße, und das bei bis zu 50 Grad Celsius. Nachts schlafen sie auf dem nackten Boden. Bald kommt die Regenzeit. Dann wird es noch dramatischer.

KNA: Wie ertragen die Schutzsuchenden die Situation?

Nona: Viele sind völlig verzweifelt. Sie sehen für sich keine Zukunft mehr im Irak, vor allem die jüngeren. Mossul war stets eine gefährliche Stadt. Die Christenverfolgung begann 2003. Doch noch nie war es so schlimm wie jetzt. Erstmals seit 2.000 Jahren droht die christliche Präsenz in der Ebene von Ninive zu verschwinden.

KNA: Wie ging die Vertreibung vor sich?

Nona: In Mossul waren 53.000 hochgerüstete Soldaten der irakischen Armee. Sie verließen die Stadt innerhalb von einer halben Stunde, die Kommandeure mit dem Flugzeug. Anfangs waren gerade mal 500 IS-Kämpfer in der Stadt, später dann 3.000. Ich kann es mir bis heute nicht erklären.

KNA: Was geschah mit den Christen?

Nona: Sie fanden am Morgen das "N" für Nazarener/Christ an ihre Haustür geschrieben. Innerhalb von zwei Stunden mussten Zehntausende Christen ihre Häuser und Wohnungen verlassen und durften nur mitnehmen, was sie am Leib trugen. Betagte, Kranke, Frauen, Kinder musste bis zu sechs Stunden zu Fuß in die kurdischen Gebiete laufen. Als sie ankamen, waren sie völlig entkräftet.

KNA: Trat niemand für sie ein?

Nona: In etlichen Fällen war es so, dass die muslimischen Nachbarn, mit denen man über Jahrzehnte Tür an Tür lebte, die Wohnungen als erste plünderten. Viele sind dadurch noch tiefer verletzt und traumatisiert als durch den IS. In einem unserer Klöster betreute ein Muslim 30 Jahre die Pforte. Als der IS kam, bereitete er alle Traktoren vor, um sämtliches Hab und Gut mitzunehmen.

KNA: Wie stand es um die moderaten Muslime?

Nona: Ich hatte sehr enge Freunde unter ihnen: Ärzte, Rechtsanwälte. Bis heute hat sich niemand nach mir erkundigt.

KNA: Was ist mit ihrem Bischofssitz in Mossul?

Nona: Die IS-Terroristen haben ihn als Hauptquartier genommen. Sie haben viele kirchliche Einrichtungen oder Kirchen als Depots, Quartiere oder Gefängnis übernommen, auch um sich besser vor Bombenangriffen zu schützen. In Mossul sind weniger als eine Handvoll Christen verblieben und einige Familien in den Dörfern. Mein Bischofssitz ist jetzt das Auto, mit dem ich die Flüchtlinge aufsuche.

KNA: Was erwarten Sie von den moderaten geistlichen Führern der Muslime?

Nona: Von muslimischen Führern hat bislang keiner die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Brutalität der IS verurteilt. Also haben sie entweder Angst, oder sie akzeptieren es.

KNA: Was kann Europa und Deutschland tun?

Nona: Neben der dringend benötigten Nothilfe brauchen wir eine Perspektive. Sonst werden die Menschen sich auf die Flucht machen. In diesen unwürdigen Verhältnissen können sie nicht bleiben.

KNA: Wie steht es mit Waffenlieferungen?

Nona: Mir fällt es schwer, das Zögern zu verstehen.

KNA: Wie schätzen Sie den IS ein?

Nona: Der IS wird massiv wirtschaftlich und finanziell vom Ausland unterstützt. Sie haben eine religiöse Basis in der Tradition des Islam und eine hoch professionelle Propaganda. Die unerhörte Grausamkeit gehört mit zu ihrem Vorgehen. Am brutalsten sind die langbärtigen Kämpfer aus dem Ausland, auch aus Europa, Tschetschenien, Libyen, Großbritannien, Deutschland. Sie sind wie eine mobile Sondereinheit.

KNA: Welche Verantwortung hat Deutschland?

Nona: Deutschland gilt als starkes Land. Es sollte sich mutiger einmischen. Dazu gehört auch, die unterstützenden Staaten der Terrorgruppe offen beim Namen zu nennen. Das Wichtigste im Kampf gegen die Terroristen ist es, die Wahrheit auszusprechen. Für uns Christen bedeutet das, dass wir uns wirklich als überzeugte Christen zeigen. Deshalb haben wir uns geweigert, die Kopfsteuer zu zahlen oder zu konvertieren.

Von Christoph Scholz


Vor einem Jahr: Flucht aus Mossul (dpa)
Vor einem Jahr: Flucht aus Mossul / ( dpa )
Quelle:
KNA