Weiter Forderungen nach unabhängiger Kommission zu Missbrauch

Aufklärung von außen

Experten und Betroffene fordern eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung der Missbrauchsskandale. Der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig sucht Verbündete in der Politik, damit die Arbeit nach der Wahl losgehen kann.

 (DR)

Mit einer Demonstration ist am Dienstag in Berlin ein Hearing des unabhängigen Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig zur Aufarbeitung der Missbrauchsskandale zu Ende gegangen. Die Beteiligten zeigten auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor ein großes weißes X, das Symbol der Kampagne gegen Missbrauch. Rörig, seine Vorgängerin Christine Bergmann, mehrere Experten und die Betroffenen forderten einhellig eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung der Missbrauchsskandale.

Rörig sagte, eine solche Kommission sollte zu Beginn der kommenden Legislaturperiode ihre Arbeit aufnehmen. Deutschland stehe mit der unabhängigen Aufarbeitung erst am Anfang. Vereinzelt sei bereits damit begonnen worden, Ausmaß und Folgen des sexuellen Kindesmissbrauchs zu untersuchen, so auch im kirchlichen Bereich.

Einbezogen werden müsse auch der Missbrauch im familiären Umfeld. Er hoffe auf einen politischen Konsens im Parlament und werde weiter den Dialog suchen, versicherte Rörig. Er habe bereits erste positive Signale aus der Union und von den Grünen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte eine unabhängige Kommission unlängst abgelehnt.

Bundespräsident Joachim Gauck ermutigte dazu, die Anstrengungen zur Aufarbeitung fortzusetzen. Er erklärte in einem Grußwort, das verlesen wurde, wer aufkläre, müsse unterstützt werden. Es gehe darum, das Schweigen zu brechen und das Verbrechen des Kindesmissbrauchs zu bekämpfen. Die Aufarbeitung dürfe nicht ins Stocken geraten, erklärte Gauck: "Das wäre ein neues Unrecht an den Opfern".

Rörigs Vorgängerin, die frühere Familienministerin Christine Bergmann (SPD) und der sozialpolitische Sprecher der Grünen im hessischen Landtag, Marcus Bocklet, sprachen sich einhellig für eine unabhängige Kommission aus. "Das darf nicht im Politikgerangel untergehen", sagte Bergmann. Es dürfe auch kein Unterschied zwischen den Tätern gemacht werden. Der libertäre Zeitgeist der 1970er und 80er Jahre sei keine Entschuldigung. Das linke Milieu müsse sich mit dem Thema ebenso auseinandersetzen wie die Kirchen.

Bocklet kritisierte die Länder, die bisher nicht in den 100-Millionen-Euro-Fonds für Missbrauchsopfer einzahlen. Insbesondere rot-grüne Landesregierungen weigerten sich, ihren Verpflichtungen nachzukommen, sagte Bocklet. Der Fonds soll zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert werden. Er startet am 1. Mai aber zunächst allein mit Mitteln des Bundes.

Pater Mertes: Aufklärung nur von außen möglich

Der Jesuitenpater und frühere Rektor des Canisius-Kollegs, Klaus Mertes, unterstützte die Forderungen nach einer unabhängigen Aufarbeitung. Er sagte, Aufklärung sei nur von außen möglich, "die Blackbox muss sich öffnen". Mertes hatte 2010 Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg öffentlich gemacht und damit eine Welle der Aufdeckung ausgelöst. Vertreter mehrer Betroffenen-Initiativen betonten, sie benötigten eine starke unabhängige Instanz, an die sie sich wenden könnten.

Der Richter und Vorsitzende der irischen Kommission zur Aufarbeitung von Missbrauch, Sean Ryan, erklärte, es sei zentral, dass eine unabhängige Kommission Zugriff auf alle Dokumente habe und die Betroffenen anhören könne. Sie müsse eine eigene Untersuchung führen. Studien und Berichte, die bereits existieren, könnten einbezogen, müssten aber überprüft werden: "Das Entscheidende ist, die Wahrheit herauszufinden", sagte Ryan.

In Deutschland waren vor drei Jahren zunächst die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche bekanntgeworden, in der Folge auch Fälle in der evangelischen Kirche und in anderen Institutionen wie der reformpädagogischen Odenwaldschule. Die Bundesregierung richtete einen Runden Tisch ein und berief die frühere Familienministerin Bergmann zur Missbrauchsbeauftragten. Der Runde Tisch sprach zahlreiche Empfehlungen aus, die bisher größtenteils nicht umgesetzt wurden.


Quelle:
epd