Mitte-Links gewinnt Wahl, aber Berlusconi regiert im Senat

So funktioniert Politik in Italien

In domradio.de-Interview erklärt Italien-Expertin Petra Reski das Wahlergebnis in Italien - und warum die deutschen Medien scheinbar von ihren italienischen Kollegen abgeschrieben haben.

 (DR)

Das vorläufige Endergebnis der Wahl in Italien kündigt eine politische Blockade an. Das Mitte-Linksbündnis hat zwar die Mehrheit der Stimmen bekommen, damit konnte Pier Luigi Bersani aber nur das Abgeordnetenhaus erobern. Im Senat sicherte sich Berlusconis Mitte- Rechtsbündnis die meisten Sitze, aber keines der politischen Lager  kommt auf die nötige Mehrheit. Es zeichnet sich also eine Pattsituation ab. Darüber haben wir im domradio.de-Interview mit der Journalistin und Schriftstellerin Petra Reski gesprochen. Sie schreibt nicht nur seit Jahrzehnten über Italien, sie lebt auch seit mehr als 20 Jahren in Venedig und ist eine exzellente Kennerin der politischen und sozialen Strukturen im Land.

domradio.de: Alles deutet darauf hin, dass im Senat kein Bündnis eine Mehrheit erzielen kann. Wie kommt das? Vielleicht können Sie uns einmal kurz erklären, was es mit dem Wahlrecht in Italien auf sich hat.

Reski: Das Wahlrecht ist das Ergebnis der zwanzigjährigen erfolgreichen Zusammenarbeit Berlusconis mit den Linken. Im Parlament ist es so, dass die erfolgreichste Partei mit mindestens 30 Prozent der Stimmen – so ist es jetzt im des Linksbündnisses – 50 Prozent der Sitze bekommt, als Preis sozusagen, als Belohnung. Im Senat aber kann eine Partei zwar mehr Stimmen bekommen haben, aber trotzdem auf keine Mehrheit kommen. Das ist so, weil die Sitze anders verteilt werden,  nach der Größe der einzelnen Regionen. Dieses überaus komplizierte Wahlrecht hat in den letzten Jahrzehnten stets Berlusconi  gestärkt. Aber auch die Linken waren nicht daran interessiert, dieses Wahlrecht zu ändern, weil sie ja letztendlich auch bei diesen Wahlen davon profitiert haben.

domradio: Was hätte denn jetzt eine Pattsituation für Folgen?

Reski: Vor allem würde sie sich bemerkbar machen, weil der Senat jedem einzelnen Gesetz seine Zustimmung erteilen muss. Und im Senat hat Berlusconi die Mehrheit - zwar eine hauchdünne, aber eben eine Mehrheit. Ich persönlich sehe das jetzt aber gar nicht mal als Problem, weil die Linken in Italien zwanzig Jahre lang sehr erfolgreich mit Berlusconi zusammengearbeitet haben. Sie haben ein großes Interesse daran gehabt, dass Berlusconi an der Macht bleibt, denn sie haben sich sozusagen sehr bequem eingerichtet mit dem Blick auf den „schwarzen Mann“. Sie werden jetzt wohl eine Art große Koalition mit Berlusconi eingehen – im Grunde, wie sie es auch in den letzten zwei Jahrzehnten immer gemacht haben.

Das Problem ist für sie, für alle ist jetzt einfach das Movimento cinque stelle, also die Bewegung des auch von der deutschen Presse leider immer falsch dargestellten sogenannten Komikers Beppe Grillo. Ich wundere mich wirklich darüber, wie die deutschen Korrespondenten fast alle ausschließlich von der italienischen Presse abgeschrieben haben, die alle daran ein parteipolitisches Interesse hatten, diese Bewegung zu diskriminieren. Am Ende ist sie als eigentliche Siegerin aus der Wahl hervorgegangen und wird jetzt das Zünglein an der Waage sein.  Beppe Grillo und seine Bewegung sind jetzt das eigentliche Problem für die Linken in Italien - nicht  Berlusconi, mit dem werden sie sich wieder arrangieren. Und das heißt, dass die Italiener es nach 20 Jahren endlich geschafft haben,  zum erstem Mal aufzubegehren, gegen diese Koalition der Linken und Rechten, die sie 20 Jahre lang in den Abgrund geführt haben. Im Grunde eine Revolution für Italien.

Wiedemann: Es ist aber auch schon von Neuwahlen die Rede. Halten Sie diese für nicht so wahrscheinlich?

Reski: Ich befürchte, es wäre nicht schlecht, wenn es Neuwahlen gäbe, weil bei diesen Neuwahlen, nehme ich an, würden sich noch mehr Italiener für das Movimento cinque stelle  entscheiden. Aber im Moment sieht es so aus, als würden sich die Linken einmal mehr mit Berlusconi einigen. Also, wir müssen uns da keine Sorgen machen in Deutschland. Das wird genauso weitergehen wie es bislang funktioniert hat. Ich glaube, dass es leider nicht  zu Neuwahlen kommen wird. Berlusconi wird wahrscheinlich sogar versuchen, sich in den Quirinalspalast wählen zu lassen als Staatspräsident, gewissermaßen als Belohnung, dass er den Linken bei den Gesetzen dann hilft, also denen dann zustimmt.

domradio:  Was für Folgen wird der Wahlausgang dann für Europa überhaupt haben?

Reski: Ich glaube nicht, dass das Wahlergebnis Folgen für Europa haben wird. Berlusconi und die Linken haben zusammen die Mehrheit, die sie in den letzten 20 Jahren auch hatten. Das einzige was anders jetzt ist, ist im Grunde etwas Positives. Nämlich, dass das Movimento cinque stelle zum ersten Mal auch den Italienern eine Stimme gegeben hat, die eben nicht zufrieden sind. Und das sind immerhin ein Viertel der Italiener, die nicht zufrieden sind, nicht zufrieden mit ihrer politischen Situation und das sollte eigentlich den Deutschen auch ein großer Trost sein, denn die Deutschen haben ja zurecht Berlusconi verurteilt, nur haben die Deutschen nie begriffen wie groß auch die Verantwortung der italienischen Linken an der Existenz von Berlusconi war. Schon in diesem Wahlkampf haben die Linken praktisch Berlusconi in jede Talk-Show eingeladen, weil sie so sicher waren, die Wahl gewinnen zu würden. Sie haben dieses Mal auch wieder geschafft, den völlig abgehalfterten Berlusconi wieder in eine Position zu befördern, wo er nochmal gewinnen konnte. Das ist wirklich genial, also das kriegen die italienischen Linken wunderbar hin.

domradio: Hier in Deutschland fragt man sich: „Wer wählt überhaupt Berlusconi?“ Was schätzen sie, die Italiener, an ihm?

Reski: Erstmal wählen Berlusconi all diejenigen, die von ihm profitiert haben. Das heißt, erst Mal alle Mafiosi, alle Korrupten – die wählen Berlusconi. Ich meine, er hat ja nun im Grunde große Teile des Landes aufgekauft. Also Süditalien ist leider völlig in der Hand von Berlusconi gewesen. Aber jetzt hat in Sizilien zum ersten Mal das Movimento di cinque stelle gesiegt. - Ich denke, es sind diejenigen, die wirklich rein materiell Vorteile von einer Regierung Berlusconi haben. Wenn Berlusconi zum Beispiel einen Erlass für Bausünden verspricht, dann sind natürlich sämtliche Schwarzbauer in Kampanien sofort auf seiner Seite. So funktioniert Politik in Italien.

(Das Gespräch führte Aurelia Rütters.)


Quelle:
DR