Altersforscher Butterwegge kritisiert Rentenpläne der Bundesregierung

"Das Beste daran ist der Name"

Mit einer sogenannten Lebensleistungsrente will die Koalition Altersarmut bekämpfen. Zynisch findet der Christoph Butterwegge die Pläne - und kritisiert sie im domradio.de-Interview als "Feigenblatt" einer Politik, die sonst nichts gegen das Problem tue.

 (DR)

domradio.de: Seit Beginn der Woche ist die Rentendiskussion ganz oben auf der Agenda - eine bessere PR für ihr Buch hätte es gar nicht geben können?

Butterwegge: Das stimmt. Seitdem Frau von der Leyen in der "Bild am Sonntag" ihre Rentenschock-Tabelle veröffentlicht hat, ist das Thema Altersarmut in der Öffentlichkeit angekommen. Aber wir haben dieses Buch lange vorher begonnen, vor ungefähr einem Jahr. Schon damals gingen wir davon aus, dass dieses Problem bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Ich tue mich schwer damit, es nur als bloßes Zukunftsproblem zu sehen - so wie es die Tabelle suggeriert, die sich auf das Jahr 2030 bezieht. Nein, heute sind schon viele Menschen im Alter arm. Um es an ein paar Zahlen zu verdeutlichen: Grundsicherung im Alter beziehen 436.000 Personen. Wenn man weiß, dass im Alter die Scham und der Stolz sehr groß sind und man den Gang zum Sozialamt scheut, weiß man, dass sicherlich - die Dunkelziffer eingerechnet - deutlich mehr als eine Million Menschen auf dem Hartz-IV-Niveau von 688 Euro leben. Besonders bedrückend finde ich, dass gleichzeitig immer mehr ältere Menschen auch arbeiten gehen. 760.000 haben einen Minijob, und davon sind alleine fast 120.000 75 Jahre oder älter. Das zeigt, dass die Rente nicht reicht. Kaum jemand trägt einfach so nachts Zeitungen aus, putzt Klos oder Ähnliches. Das ist ein Ausdruck einer wachsenden materiellen Not im Alter.



domradio.de: Was genau bedeutet Armut im Alter in Deutschland?

Butterwegge: Man weiß nicht, wie man Strom und Gas bezahlen soll und befürchtet, dass beides abbestellt wird. Man geht nichts in Kino und kann sich nicht leisten, mit Freunden mal eine Kneipe aufzusuchen. Man fährt nicht in Urlaub - über Jahrzehnte hinweg. Und das halte ich in einem so reichen Land wie dem unseren nicht mit dem Grundgesetz für vereinbar, denn da wird sowohl die Würde des Menschen verletzt als auch das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes mit Füßen getreten.



domradio.de: Die Regierungskoalition diskutiert über die "Lebensleistungsrente" - also ein Zuschuss, wenn jemand mindestens 40 Jahre eingezahlt und privat vorgesorgt hat. Was halten sie davon?

Butterwegge: Das Beste daran ist der Name. Aber es ist natürlich im Grunde auch Stück weit Zynismus, wenn man Altersarmut als Lohn für Lebensleistung ansieht. Denn erstens werden ganz viele nicht erreicht. Das trifft für die Bestandsrentner zu: Wer jetzt schon eine Rente erhält, bekommt diese zusätzliche Leistung, die Frau von der Leyen mit der Zuschussrente in die Diskussion gebracht hat und die jetzt Lebensleistungsrente heißen soll, gar nicht. Dann haben Menschen keine Chance, die mehrfach oder langzeitarbeitslos waren, die selbständig waren, die also lückenhafte Erwerbs- und damit auch Rentenverläufe haben. Und selbst diejenigen, die den Ansprüchen genügen, werden nur wenige Euro über die Grundsicherung von 688 Euro hinausgehoben. Das heißt in einer Konsumgesellschaft wie der unseren, weiter arm zu sein. Deswegen ist das nicht mehr als ein Feigenblatt der Regierung, mit dem man verdeckt, dass man in Wirklichkeit nichts gegen die Altersarmut tut.



domradio.de: Ist das denn alles schon Wahlkampfgetöse?

Butterwegge: Es ist zumindest der Versuch, Handlung vorzutäuschen; so zu tun, als reagiere man auf ein kaum mehr zu leugnendes Problem. Aber es ist keine wirkliche Lösung des Problems, sondern mehr Augenwischerei. Aber es hat schon damit zu tun, dass man fürchtet, dass das Thema Rente, Altersarmut und mangelnde soziale Gerechtigkeit in unserem Land das zentrale Thema des Bundestagswahlkampfs wird. Das scheuen die etablierten Parteien in der Bundesrepublik. Und ich glaube schon, dass Frau von der Leyen klug genug ist, mit ihrem Konzept wenigstens etwas auf den Tisch zu legen, mit dem man dann sagen kann, wir haben es versucht und nicht einfach zugesehen.



domradio.de: Grundsätzlich kann man jetzt aber doch auch nicht Rentenversprechen für die kommenden Jahrzehnte abgeben, ohne zu wissen, wie man sie finanziert?

Butterwegge: Die Höhe der Rente ist sicherlich bestimmt von den finanziellen Möglichkeiten einer Gesellschaft. Aber der Reichtum in Deutschland ist so hoch - das zeigt auch der vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung -, dass auf der einen Seite der private Reichtum bei wenigen konzentriert, auf der anderen Seite nimmt die Armut zu. Die Lösung des Problems sehe ich in einer anderen Verteilung des Reichtums. Die Altersarmut ist keine Frage der Biologie und der demographischen Entwicklung einer Gesellschaft, sondern die Höhe der Rente ist erstens bestimmt von dem, was an gesellschaftlichem Reichtum erwirtschaftet wird, und zweites wie dieser auch weiterhin wachsende gesellschaftliche Reichtum in der Bundesrepublik verteilt wird. Und wenn das Bruttoinlandsprodukt weiter wächst - was man annehmen kann -, ist für alle genug da. Insbesondere dann, wenn die demographische Entwicklung in die Richtung geht, dass die Bevölkerungszahl so stark abnimmt, wie uns das manche Demographen prognostizieren. Dann wird der Kuchen größer, und die Zahl derjenigen, auf die er verteilt werden muss, wird kleine. Und dann müsste eigentlich für alle ein größeres Stück da sein. Aber leider ist bei uns immer noch die Vorstellung vorhanden, es fehle an Geld. Nein, das Geld ist da, nur befindet es sich in den falschen Taschen. Es muss von oben nach unten verteilt werden.



Hintergrund: Gerade ist das Buch "Armut im Alter. Probleme und Perspektiven der sozialen Sicherung" des Kölner Professors für Politikwissenschaften Christoph Butterwegge erschienen.



Das Gespräch führte Monika Weiß. Hören Sie es sich hier in voller Länge nach: Teil eins und Teil zwei des Gesprächs.