SPD-Politikerin Akgün kritisiert Erdogans Äußerungen zur Integration

Einmischen unerwünscht

Tausende Demonstranten haben vor dem Brandenburger Tor in Berlin gegen die Politik des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan protestiert. Erdogan befördere den Aufbau einer "Parallelgesellschaft in Deutschland", kritisierten die Organisatoren des Protests. Was damit gemeint ist, erklärt im domradio.de-Interview die SPD-Politikerin Lale Akgün.

 (DR)

domradio.de: Frau Akgün, wie weit darf Integration gehen, wann wird sie zur Assimilation?

Lale Akgün: Sehen Sie, Sie bauen da schon einen Gegensatz auf, der eigentlich gar nicht existiert, weil jeder Mensch, der irgendwohin zuwandert, ist teilweise integriert und teilweise auch selbstverständlich assimiliert. Denn die Integration bezieht sich vor allem auf den privaten Bereich, während wir im öffentlichen Leben uns zumeist auch assimilieren, ohne es zu merken.



domradio.de: Menschen wie Sarrazin oder auch Buschkowsky zeichnen ein dunkles Bild von der Integration, gerade auch von türkischstämmigen Menschen - von Parallelgesellschaften ist da die Rede. Ist das auch das, was Sie sehen?

Akgün: Das ist ein Teil der Wahrheit. Es wäre falsch, alles, was Buschkowsky oder auch zum Teil Sarrazin sagen, völlig als absurd dazustellen. Aber es ist nicht die ganze Wahrheit, es verzerrt das Bild, wenn man nur die Negativbeispiele sieht. Es gibt sicherlich auch genauso gute, positive Beispiele. Wir müssen immer auch das vollständige Bild sehen, um zu verstehen, wo stehen heute in Deutschland die Eingewanderten.



domradio.de: Wir sprechen heute über dieses Thema, weil der türkische Ministerpräsident Erdogan in Deutschland ist und sich am Dienstag in der neuen türkischen Botschaft in Berlin für mehr Integration ausgesprochen hat. Welche Aufgabe kommt der türkischen Politik zu, solche Strukturen in Deutschland aufzubrechen?

Akgün: Gar keine, wenn Sie mich fragen. Wir haben ja auch in Deutschland Menschen mit italienischem oder spanischem Ursprung. Ich habe noch nie gehört, dass der italienische Ministerpräsident sich hinstellt und über die Integration seiner Landsleute redet. Ich glaube, Integration ist eine sehr innerpolitische Geschichte und deswegen geht das Herrn Erdogan gar nichts an. Er muss sich eigentlich um die Außenpolitik seines Landes kümmern, aber wenn es um die Integration der hier lebenden Menschen geht, ist das Innenpolitik - und das ist unsere Sache hier.



domradio.de: Ist es vielleicht auch ein Fehler deutscher Politik sozusagen, dass sich Erdogan so sehr um seine türkischen Landsleute kümmert?

Akgün: Ich denke, da ist natürlich etwas Wahres dran. Ich glaube, wir müssen einfach an der Stelle viel offensiver vorgehen. Manchmal ist mir die deutsche Politik zu vorsichtig, man muss den Leuten ganz klar sagen: "Ihr gehört zu uns und Ihr seid hier angekommen, Ihr seid Teil der deutschen Gesellschaft." Wenn man von den Menschen redet - überlegen Sie mal, wir haben inzwischen 16 Millionen Menschen mit irgendeinem Migrationshintergrund - dann kann man nicht mehr von "ihr" und "wir" reden. Wenn man damit aufhören würde und sagen würde, wir sind eine Gesellschaft, dann hätte man sicherlich eine andere Möglichkeit Herrn Erdogan das Wasser abzugraben, weil er immer wieder in diese Lücke reinstößt zu sagen, Ihr seid hier wohl nicht angekommen, aber Ihr habt immer noch eine Heimat im Rücken, eine starke Türkei.



domradio.de: Wenn wir einmal Bilanz ziehen, wie weit sind wir bei der Integration Türkischstämmiger in Deutschland schon gekommen?

Akgün: Es ist ein sehr disparates Bild. Wir haben Menschen, die es hier zu Spitzenpositionen gebracht haben, die sich selbstverständlich als Deutsche fühlen, die sagen, ich bin Deutscher, was wollt Ihr? Wir haben aber auch Menschen, die gerade weil sie sich ausgeschlossen fühlen, obwohl sie in Deutschland geboren sind, sich irgendwelche türkischen Identitäten zusammenreimen und -fantasieren, auch an der Stelle müssen wir noch mehr arbeiten. Wenn sich junge Menschen, gerade aus sozialbenachteiligten Schichten, nicht angenommen, nicht akzeptiert fühlen, dann überhöhen sie die Herkunftskultur ihrer Eltern, obwohl sie da nie gelebt haben und schaffen sich eigene Identitäten, die eigentlich nur Fantasieidentitäten sind und schaffen ein "wir" und "ihr". Da müssen wir vorgreifen, indem wir vor allem über die soziale Frage gehen, also Ausbildungsplätze, Schulabschlüsse. Wer ein gutes Auskommen und eine gute Umgebung hat, wird sich nicht in irgendwelche Fantasien hineinsteigern.



Das Interview führte Christian Schlegl (domradio.de)