Debatte um Beschneidung und geplantes Gesetz

Ethikrat-Mitglied spricht von "Religionskrieg"

Die Beschneidungsdiskussion in Deutschland hält an. Politiker und Mediziner kritisieren das Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums. Das einzige jüdische Mitglied des Deutschen Ethikrates spricht inzwischen von einer Art "Religionskrieg".

 (DR)

"Wir reden schon lange nicht mehr über den medizinischen Part der Beschneidung von Knaben", sagte Leo Latasch am Sonntag in Düsseldorf. Hier versuche das Christentum, "anderen Religionen zu sagen, wo es lang geht". Zugleich beklagte der jüdische Arzt eine "unglückliche Einmischung des israelischen Rabbinats" in die Diskussion, ob die Beschneidung aus religiösen Gründen mit Betäubung erfolgen solle. Die Beschneidung sollte nach den Hygieneregeln des 21. Jahrhunderts erfolgen und mit einer lokalen Schmerzbetäubung vorgenommen werden, sagte er auf einer Podiumsdiskussion des Bundesverbands Jüdischer Mediziner.



Stefan Muckel vom Institut für Kirchenrecht der Universität Köln sprach mit Blick auf das Urteil des Landgerichts Köln, das die religiöse Beschneidung von Jungen als Körperverletzung gewertet hatte, von "Taktlosigkeit und Anmaßung". Die Richter hätten so getan, als wäre es völlig klar, dass ein Eingriff das Kindeswohl gefährde, kritisierte er. Die religiöse Bedeutung der Beschneidung sei "völlig außer Acht gelassen" worden.



Für eine differenziertere Diskussion warb der Kinderarzt Bernhard Roth von der Universitätsklinik Köln. Es gebe einen "gefährlichen Realismus, der auf Unkenntnis" beruhe. Das Ritual der Beschneidung nannte Roth "ein würdevolles Ereignis". Das Bundesjustizministerium hat ein Eckpunktepapier für eine gesetzliche Regelung der Beschneidung von Jungen aus religiösen Motiven vorgelegt, das unter anderem eine effektive Schmerzbehandlung vorschreibt.



Kritik an und Lob für Gesetzentwurf

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir stellt sich klar auf die Seite der jüdischen und muslimischen Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen wollen. "Ich sage unzweideutig, dass Juden und Muslime das Recht auf Beschneidung ihrer männlichen Kinder haben sollten, wenn diese nach klaren medizinischen Standards durchgeführt und das Kindeswohl dabei beachtet wird", sagte Özdemir der Zeitung "Die Welt" am Montag (01.10.2012). In der aktuellen Diskussion seien "alle gut beraten, sich die Argumente der anderen Seite ohne Schaum vor dem Mund anzuhören". Dazu gehöre auch, "dass man die Beschneidung von Jungen nicht in einem Atemzug mit der schrecklichen Genitalverstümmelung von Mädchen nennt", erklärte der Grünen-Politiker. Die Eckpunkte von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zur Regelung der Beschneidung nannte Özdemir "eine gute Diskussionsgrundlage", über die man nun mit Kinderschutzverbänden, Ärzten und Religionsgemeinschaften sprechen müsste.



Eckhard Pols (CDU), Mitglied der Kinderkommission des Bundestages, sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", man dürfe das Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums "nicht einfach so durchwinken", es gehe um den Schutz der Kinder. In dem Eckpunktepapier aus der vergangenen Woche werde die Religionsfreiheit über das Kindeswohl gestellt, es müsse aber umgekehrt sein.



Marlene Rupprecht, Kinderbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, sagte der Zeitung, sie sei "erschüttert". Das Eckpunktepapier sieht vor, Beschneidung künftig im Familienrecht zu regeln, wo auch das Recht auf gewaltfreie Erziehung festgeschrieben ist. "Das zynisch zu nennen, ist noch harmlos ausgedrückt", sagte Frau Rupprecht. Hier würde für eine Gruppe ein besonderes Gesetz geschaffen. Das Papier sei ein Entgegenkommen gegenüber Religionsgemeinschaften, so Rupprecht. Auch die kinderpolitische Sprecherin der Grünen, Katja Dörner, sagte der Zeitung, dem Papier könne sie nicht zustimmen, weil "das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit zur Disposition" gestellt werde.



Der Familienpolitiker Norbert Geis (CSU) begrüßte das Eckpunktepapier. Beschneidung sei "nicht so ein schwerer Eingriff" und könne auch von einem geschulten Nicht-Mediziner vorgenommen werden, sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Die Frage der Betäubung müsse aber noch erörtert werden. Stephan Thomae (FDP), Mitglied des Rechtsausschusses, sagte der Zeitung, die Grundrichtung sei richtig. Der Staat dürfe nicht bestimmen, wie Religionen ihre Traditionen ausüben. Von wann an ein Kind von einem Arzt beschnitten werde, müsse aber noch geklärt werden.



Ärzteverbände und Strafrechtler bestehen darauf, dass auch Jungen unter sechs Monaten nur mit Betäubung beschnitten werden. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery begrüßte es zwar, das nun Rechtssicherheit geschaffen würde. Eine Beschneidung ohne Anästhesie entspreche jedoch nicht den Regeln der ärztlichen Kunst. "Hier müssen sich auch die Religionen bewegen", sagte Montgomery der Zeitung.