SPD-Politikerin sieht rechte Provokation als Bewährungsprobe für liberalen Islam

"Wir müssen einander ertragen lernen"

In Berlin wollen Rechtspopulisten gegen den Islam auf die Straße gehen. Mohammed-Karikaturen inklusive. Eine Demokratie müsse das aushalten, sagt Lale Akgün. Auch wegen des Ramadan könnten die Provokationen ins Leere laufen, hofft die Muslimin im Interview mit domradio.de.

 (DR)

domradio.de: Demonstrieren ist ein Grundrecht - doch muss es ausgerechnet zum Ende des Ramadan sein? - es ist  ja so als würde man an Heilig Abend gegen das Christentum demonstrieren

Akgün: Die Anhänger von "Pro Deutschland" wollen provozieren. Und weil sie das tun wollen und weil sie gegen den Islam demonstrieren wollen, haben sie sich den Vorabend des Ramadan-Festes ausgesucht. Aber eigentlich ist der Termin für eine Provokation denkbar falsch: Ramadan bedeutet nicht nur Fasten im Sinne eines Sich-Beherrschens beim Essen und Trinken, sondern auch bei den eigenen Verhaltensweisen. Wenn die Muslime sich also sehr islamisch verhalten, werden sie diese Provokation nicht beantworten. Schon gar nicht mit Gewalt.



domradio.de: Andererseits müsste man ja auch sagen, es ist zwar respektlos Mohammed-Karikaturen zu zeigen, aber muss das ein Moslem nicht aushalten können, genauso wie ein Katholik es aushält, dass der Papst durch ein Satiremagazin verunglimpft wird?

Akgün: Ja, natürlich. Wir müssen Dinge auseinanderhalten: Wir leben in einer Demokratie. Karikaturen fallen unter die künstlerische Freiheit. Und das Recht zu demonstrieren, ist ein Grundrecht. Und Menschen haben auch das Recht, mit Mohammed-Karikaturen zu demonstrieren. Wir müssen einander ertragen lernen. Auch Muslime müssen lernen, mit diesen Freiheiten umzugehen. Das sind die Spielregeln einer multikulturellen Gesellschaft.



domradio.de: Proteste sind erlaubt. Aber wie schätzen sie den Hintergrund ein - die Angst, die dahinter steckt, dass der Islam zu mächtig wird?

Akgün: Es gibt einige Menschen in Deutschland, die mit der Veränderung der Gesellschaft in Deutschland hadern - und lernen müssen, damit zurecht zu kommen. Diese rechten Gruppierungen nehmen die diffusen Ängste der Menschen auf, um ein Schreckgespenst des Islam an die Wand zu malen. Sie machen aus dumpfen Ängsten reelle - sie stellen den Islam als einen Feind der Demokratie und der gemeinsamen Kultur dar. Das alles müssen wir diskutieren, damit die Ängste in der Bevölkerung auch abgebaut werden können. Und wenn jemand sagt, er habe diffuse Gefühle gegenüber dem Islam, nehme ich das als Muslimin ernst. Nicht jeder, der Vorbehalte hat, ist ein Rechter.



domradio.de: Woher kommen diese Ängste?

Akgün: Mit dem Islam wird ein Bild der Gewalt, der Ungleichheit von Mann und Frau sowie mangelnder Demokratieverträglichkeit verbunden. Alles gerechtfertigte Fragen aus der Sicht derer, die die Fragen stellen. Der Islam hat viele Gesichter. Und wir müssen dafür sorgen, dass sich in Deutschland ein liberaler Islam etabliert, der alle entstehenden Fragen positiv beantworten kann. Wir brauchen einen Islam, der mit der Demokratie kompatibel ist, der die Gleichheit von Mann und Frau respektiert und der dafür sorgt, dass keine Gewalt gegen Andersgläubige geschieht. Das ist eine große Aufgabe für die kommenden Jahre.



domradio.de: Werden die Muslime diesem Anspruch am Samstag in Berlin gerecht werden?

Akgün: In einer demokratischen Gesellschaft hat jeder das Recht zu demonstrieren und zu provozieren. Auch mit dummen Sachen. Und wenn Sie muslimisch denken, müssen sie sagen: Es ist Ramadan, ich darf keine Gewalt ausüben und Geduld aufbringen für Menschen, die mich und meine Religion in Frage stellen. Das wäre sehr islamisch. Und damit würden sie das positive Gesicht des Islam zeigen und genau das zeigen, was ich mir wünsche: den Menschen die Angst vor dem Islam nehmen.



Das Gespräch führte Christian Schlegel.



Hintergrund: Die rechtspopulistische Bewegung "Pro Deutschland" darf bei ihren Veranstaltungen am Samstag (18.08.2012) in Berlin Mohammed-Karikaturen zeigen. Drei islamische Moschee-Vereine scheiterten am Donnerstag vor dem Verwaltungsgericht Berlin mit dem Versuch, dies verbieten zu lassen. Zur Begründung führten die Richter unter anderem aus, es stehe nicht fest, dass das Zeigen von Mohammed-Karikaturen strafrechtlich relevant sei. Gegen den Beschluss kann beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Beschwerde eingelegt werden. (VG 1 L 217.12)



"Pro Deutschland" plant mehrere Demonstrationen vor islamischen Einrichtungen in der Hauptstadt. Die Veranstaltungen stehen unter dem Motto "Der Islam gehört nicht zu Deutschland - Islamisierung stoppen". Nach Ansicht des Berliner Verwaltungsgerichts fehlt für ein polizeiliches Einschreiten die erforderliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Zudem fielen die Karikaturen unter die Kunstfreiheit. Durch das Zeigen der Karikaturen allein werde noch nicht zum Hass oder zu Gewaltmaßnahmen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen aufgefordert.