Sozialverbände sprechen von Tiefpunkt der Sozialpolitik

Zehn Jahre Hartz-Gesetze

Zum zehnten Jahrestag der Hartz-Reformen üben Sozialverbände scharfe Kritik. Hartz IV markiere den "absoluten Tiefpunkt der bundesdeutschen Sozialpolitik", bilanziert der Paritätische Wohlfahrtverband. Kardinal Marx hatte bereits 2002 vor einem Auseinanderdriften der Gesellschaft gewarnt. Die Linkspartei bringt derweil eine Hartz-Revision unter Kirchenführung ins Spiel.

 (DR)

Unabhängige Expertenkommission soll es richten

Zehn Jahre nach dem Start der Hartz-Gesetze fordert die Linkspartei eine Generalrevision der Reformen und hält dabei eine führende Rolle der Kirche für denkbar. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vom Donnerstag sagte Parteichefin Katja Kipping: "Ich bin dafür, dass eine neue unabhängige Expertenkommission eingesetzt wird, in der außer den Gewerkschaften auch Sozialverbände und Erwerbsloseninitiativen eine Stimme haben."



Dabei solle diesmal "nicht ein Wirtschaftsboss die Leitung bekommen, sondern eine Person, die moralische Integrität und soziales Gewissen vereint, zum Beispiel aus der Kirche". Notwendig sei "statt der ständigen Augenwischerei ein Masterplan" für einen Politikwechsel. "Wir wollen nach der Wahl eine Generalrevision von Hartz IV durchsetzen", sagte Kipping. "Ohne Mindestlohn und sanktionsfreie Mindestsicherung läuft mit uns nichts. Das ist nicht verhandelbar."



Am 16. August 2002 hatte Peter Hartz, damals VW-Manager und Berater des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), seine Vorschläge zum Abbau der Arbeitslosigkeit vorgelegt.



Kritik: Anspruch des Förderns und Forderns nie erfüllt

Mit Hartz IV sei die soziale Spaltung der Gesellschaft "politisch mutwillig" verstärkt worden, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtverbandes, Ulrich Schneider, am Dienstag in Berlin. Schneider kritisierte, in der Praxis sei der Anspruch des "Förderns und Forderns" nie erfüllt worden. Stattdessen sei Hartz IV von "Misstrauen, Kontrolle und Drangsalierung" geprägt. Drei Viertel aller Betroffenen verblieben langfristig in Hartz IV. Dies sei "eine perspektivlose Sackgasse, kein Sprungbrett", betonte Schneider.



Der Verband wiederholte seine Forderung nach einer Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze. Dazu seien der Ausbau öffentlich geförderter und dauerhafter Beschäftigungsangebote sowie eine Reform des Arbeitslosengeldes I nötig. So solle die Rahmenfrist, innerhalb derer zwölf Monate sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nachzuweisen sind, wieder von 24 auf 36 Monate ausgedehnt werden. Für ehemals vollzeiterwerbstätige Arbeitslosengeldbezieher brauche es ein Mindestarbeitslosengeld oberhalb des Hartz-IV-Niveaus.



Daneben forderte der Verband einen verbindlichen Rechtsanspruch auf Teilhabe, der im Kinder- und Jugendhilfegesetz verankert werden solle. Damit könnten für Kinder und Jugendliche aus Hartz-IV-Familien mehr Perspektiven geschaffen werden. Die sogenannten "Zehn-Euro-Gutscheine" für Kinder aus sozial benachteiligten Familien gehörten hingegen abgeschafft.



Bischöfe: Langzeitarbeitslose in Blick nehmen

Die Deutsche Bischofskonferenz hatte damals die Pläne der Hartz-Kommission grundsätzlich begrüßt. Alle Aktivitäten, die zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitrügen, seien ein Schritt in die richtige Richtung, hieß es am Tag als in Berlin die Vorschläge der Hartz-Kommission vorgestellt wurden. Die Bischofskonferenz mahnte aber bereits besonders benachteiligte Gruppen wie Langzeitarbeitslose und gering qualifizierte Arbeitsuchende besonders in den Blick zu nehmen.



Der Münchner Erzbischof, Reinhard Kardinal Marx, damals noch Bischof von Trier, forderte Ende 2002 Ergänzungen zu den Hartz-Vorschlägen. So wie es einen eigenen Arbeitsmarkt für Behinderte gebe, benötige die Gesellschaft einen geschützten Bereich, der die Beschäftigung von sozial Schwachen und Benachteiligten mit sinnvoller Arbeit sicher stelle. Immer mehr Menschen könnten auf dem an Höchstleistung orientierten Arbeitsmarkt nicht mehr mithalten, warnte Marx.



Altkanzler Schröder verteidigt die Reform

Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verteidigte dagegen die Reform, die auf seine Initiative zurückgeht und vor zehn Jahren vorgestellt wurde. Er nannte das Hartz-Konzept einen Gewinn für die Gesellschaft. "Wir haben zwei Millionen Arbeitslose weniger im Vergleich zu 2005, als die Reformen umgesetzt wurden", sagte er. "Ich weiß, dass die Reformen zu Beginn schmerzhaft waren, aber wenn wir heute die Erfolge sehen, dann hat es sich für unser Land gelohnt."



Handwerkspräsident Otto Kentzler sagte, im Zuge der Hartz-Reform sinke die Langzeitarbeitslosigkeit deutlich, zugleich steige die Zahl von regulären Jobs und immer mehr Mini-Jobs würden in Vollzeitstellen umgewandelt. Er könne nicht verstehen, dass SPD und Grünen, die diese Reformen mutig durchgeführt hätten, heute häufig auf Distanz dazu gingen.



Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) lobte das Prinzip des Förderns und Forderns als Meilenstein auf dem Weg zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann sagte, durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie den Umbau der Bundesagentur für Arbeit sei es gelungen, die vor den Hartz-Reformen stetig steigende Sockelarbeitslosigkeit in Deutschland abzubauen. Künftig müsse es noch besser gelingen, auch wenig Qualifizierte aller Altersgruppen in die Betriebe zu bringen. Driftmann warnte vor Mindestlöhnen.



Schröder will Mindestlohn

In dieser Frage schlug sich Altkanzler Schröder auf die Seite der Linken. Im Grundsatz müsse jeder von seiner Hände Arbeit leben können, sagte er der "Bild"-Zeitung. Deshalb sei ein Mindestlohn sinnvoll.



Schröder wies den Vorwurf zurück, Deutschland sei durch die Hartz-Reformen unsozialer geworden. Kein Arbeitsloser, Kranker oder Hilfebedürftiger werde zurückgelassen. "Aber es ist nicht unsozial, wenn der Staat einfordert, dass jemand, der arbeiten kann und dem Arbeit angeboten wird, diese auch annimmt", sagte er.