Jesuiten-Flüchtlingsdienst kritisiert EU-Grenzschutz

Die Justiz wird´s schon richten

Mehr Solidarität mit Flüchtlingen mahnt Pater Martin Stark vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst an. Es könne nicht sein, dass "Gerichte letztendlich immer das zurechtrücken müssen, was Politik nicht schafft hinzubekommen". Der Jesuit kritisiert den EU-Grenzschutz. Es sei unverständlich, dass im Mittelmeer Flüchtlinge unentdeckt blieben und verdursteten.

 (DR)

domradio.de: So schlimm es auch klingt, es war ein fast schon alltäglicher Vorfall: Im Mittelmeer verdursteten in der vergangenen Woche 54 Flüchtlinge. Wie ist so etwas möglich?

Pater Martin Stark: Gerade in der letzten Woche bei diesem Unglück ist es so gewesen, dass einer überlebt hat. Ein Eritreer hat überlebt und wurde auch interviewt und hat erzählt, was er eben erlebt hat. Dass er von tunesischen Fischern entdeckt wurde und so überleben konnte und dass die anderen an Bord alle verdurstet sind. 15 Tage lang sind sie auf dem Mittelmeer hin- und hergeschippert.



domradio.de: 15 Tage, das ist eine sehr lange Zeit. Wir reden jetzt über eine vielbefahrene Stelle im Mittelmeer. Da müssen doch andere Schiffe vorbei gekommen sein oder nicht?

Pater Martin Stark: Genau. Das ist das Unverständliche. Das Mittelmeer ist eine der meistbefahrenen, meistüberwachten Meeresregionen der Welt und dass so etwas immer wieder passieren kann, das ist eigentlich unverständlich. Aber noch mehr unverständlich ist eigentlich, dass die EU den Grenzschutz mit Satelliten und Radarsystemen ausbaut, aber das dient allein der Abwehr der Flüchtlinge und nicht eben um auch Flüchtlinge aufzuspüren, die eben in Not sind, in  Seenot geraten sind. Das ist sehr unverständlich.



domradio.de: "Wer Ausländern in Schwierigkeiten hilft, wird Probleme haben" - das ist die Meinung vieler. Welche Probleme werden da befürchtet?

Pater Martin Stark: Das Problem ist, wer ist für Flüchtlinge verantwortlich? Also in internationalen Hoheitsgewässern etwa, welcher Staat kommt dann diesen Menschen zur Hilfe? Und so passiert es immer wieder eben, dass Flüchtlingsboote Gewässer nicht erreichen können, sondern dass sie in dieses internationale Hoheitsgewässer hinein abgedrängt werden und das sind eben die Szenen, die sich da abspielen und die unverständlich sind und eigentlich nicht nachvollziehbar.



domradio.de: Wie reagiert Deutschland auf die Vorfälle im Mittelmeerraum?

Pater Martin Stark: Deutschland sieht das sehr gelassen. Innerhalb von Europa gelegen, umgeben von sogenannten sicheren Drittstaaten, ist es für Flüchtlinge fast gar nicht möglich legal nach Deutschland reinzukommen, sondern das Problem wird den Ländern an den Außengrenzen überlassen. Es fehlt in Europa ein vernünftiger Verteilmechanismus, eine solidarische Aufteilung der ankommenden Flüchtlinge, so etwas gibt es bisher in unserem europäischen Asylsystem nicht.



domradio.de: Haben Sie die Hoffnung, dass sich daran etwas ändern wird?

Pater Martin Stark: So peu à peu, ich sehe schon, dass sich im europäischen Recht etwas ändert und vor allem, dass Gerichte letztendlich immer das wieder zurechtrücken müssen, was Politik nicht schafft hinzubekommen. Dass Gerichte sagen, es ist mit dem Europäischen Menschenrechtsschutz nicht vereinbar, dass die Lage so ist, dass nach Griechenland oder Italien zurückgeschoben wird, ohne vorher zu prüfen, ob die Lage überhaupt aussichtsreich ist. Gerade heute haben wir das Urteil des Bundesverfassungsgericht, wo das Gericht endlich nach fast 20 Jahren sagt, das kann nicht sein,  dass die Sätze 20 Jahre lang unverändert waren und die Menschen 40 Prozent weniger als das bekommen, was normalerweise für das Existenzminimum angesehen wird.





Das Interview führte Verena Tröster



Hintergrund zum jüngsten Urteil des Bunderverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwochvormittag in Karlsruhe entschieden, dass die Sozialleistungen für Flüchtlinge erhöht werden müssen. Demnach verstößt das Asylbewerberleistungsgesetz gegen das Grundgesetz, weil die Leistungen unterhalb des Existenzminimums liegen. Die Grundleistungen für einen erwachsenen Flüchtling liegen mit 224 Euro monatlich um 40 Prozent unter dem Betrag, den Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger erhalten.



Die Höhe der Geldleistungen sei unzureichend, weil sie seit 1993 trotz erheblicher Preissteigerungen in Deutschland nicht verändert worden ist, urteilte das Gericht. "Zudem ist die Höhe der Geldleistungen weder nachvollziehbar berechnet worden, noch ist eine realitätsgerechte, am Bedarf orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich", heißt es in dem Urteil.



Der Gesetzgeber ist der Entscheidung zufolge verpflichtet, eine "Neuregelung zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums" für Flüchtlinge und Asylbewerber zu treffen. Bis dahin müssten Leistungen in Höhe der Hartz-IV-Sätze gezahlt werden, und zwar rückwirkend ab dem 1. Januar 2011.



Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl begrüßte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. "Das Gericht beendet ein jahrelanges Unrecht", sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt:

"Flüchtlinge sind keine Menschen zweiter Klasse." Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte: "Seit langem war offensichtlich, dass die bisher gewährten Leistungen für ein menschenwürdiges Leben nicht ausreichen."