Katholiken-Präsident Glück verteidigt Elterngeld

"Ich bin bestürzt über diese Debatte"

Die Geburtenzahl in Deutschland ist 2011 auf einem Tiefpunkt angelangt. Innerhalb der CDU hat das zu einer Debatte darüber geführt, ob das Elterngeld noch Sinn macht. Im Interview verteidigte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, am Mittwoch die finanziellen Leistungen für Eltern. Zugleich kritisierte er, dass es immer noch nicht gelungen sei, der Familienpolitik einen höheren Stellenwert im Rahmen einer Zukunftsstrategie für Deutschland zu geben.

 (DR)

KNA: Herr Glück, noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg sind in Deutschland so wenige Kinder geboren worden wie im vergangenen Jahr.

Wie bewerten Sie das?

Glück: Die wichtigste Ursache ist sicherlich, dass die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter sinkt. Die Zahl zeigt aber auch, dass es noch nicht gelungen ist, die Haltung der Gesellschaft grundsätzlich zu ändern. Es besteht im Alltag nach wie vor eine verbreitete Rücksichtslosigkeit gegenüber Familien und Kindern.



KNA: Selbst in der CDU wird das Elterngeld kritisiert, weil es ja nicht dazu geführt habe, die Zahl der Kinder zu erhöhen...

Glück: Ich bin bestürzt über diese Debatte, die aus dem Wirtschaftsflügel der CDU kommt. Das Elterngeld wird dort offenbar lediglich als Gebärprämie und die Geburtsstatistik als Gradmesser für den Erfolg oder Misserfolg verstanden. Noch absurder wird diese Kritik dann unter dem Anspruch des Konservativen: Die Lebensbedingungen von Familien und damit Fragen der Gerechtigkeit spielen dort offenbar keine Rolle. Am Elterngeld darf nicht gerüttelt werden - unabhängig von der Geburtenstatistik.



KNA: Was empfehlen Sie den Kritikern aus Union und der Wirtschaft?

Glück: Familienpolitik darf nicht auf Finanzfragen und Kostenrechnungen reduziert werden. Auch die Wirtschaft muss einen noch größeren Beitrag dazu leisten, dass Familie und Beruf besser vereinbar sind. Warum müssen immer nur die Familien flexibel sein?

Es darf auch nicht nur darum gehen, die Frauen möglichst schnell wieder für den Arbeitsmarkt verfügbar zu machen. Da springt man zu kurz.



KNA: Nur noch Experten durchschauen gegenwärtig die Debatten um Betreuungsgeld, Elterngeld und Kitaplätze. Wie kann man angesichts dieser Einzelfragen zu einer vernünftigen Familienpolitik kommen?

Glück: Obwohl mittlerweile vielen klar ist, wie der demografische Wandel unser Land verändern wird, ist es leider noch nicht gelungen, die Familienpolitik in den Mittelpunkt einer Zukunftsstrategie für unser Land zu stellen. Die Frage, was Kinder und Familien brauchen, müsste bei allen Planungen, Projekten und politischen Entscheidungen so selbstverständlich mit bedacht werden, wie es heute für den Umweltschutz selbstverständlich ist.



KNA: Wo konkret würden Sie ansetzen, um die Situation zu verändern?

Glück: Kinder sind bei uns in vielen Bereichen nicht gerade willkommen - wenn man sich etwa die Widerstände gegen Spielplätze und Kindergärten oder Erfahrungen im Tourismus ansieht. Wenn es um höhere Geburtenraten geht, wird immer wieder auf die Erfolge Frankreichs verwiesen. Ich glaube, dass die höheren Kinderzahlen dort nicht so sehr durch die vielfältige außerfamiliäre Betreuung begründet sind, sondern vor allem durch eine generell größere Kinderfreundlichkeit im Alltag. Die fehlt bei uns. Die Interessen von Kindern und Familien müssten viel stärker etwa bei der Städteplanung oder beim Bau von Wohnungen berücksichtigt werden.

Kinder müssen Kinder sein dürfen. Sie brauchen Raum zum Spielen und Lernen.



KNA: Kritiker behaupten, dass Deutschland zu viele Milliarden für Familien und Kinder ausgibt. Die Bundesregierung will die Familienleistungen auf den Prüfstand stellen und 2013 einen Bericht vorlegen. Was erwarten Sie davon?

Glück: Es ist wichtig, immer wieder zu überprüfen, ob finanzielle Leistungen zielgenau ankommen und wirken. Man darf sich aber nicht einseitig auf Finanzfragen beschränken. Entscheidend ist, welche Ziele man formuliert. Und da ist Gerechtigkeit für mich ein entscheidendes Kriterium. So ist etwa die Erziehungsleistung von Frauen in der Rente weiterhin dramatisch unterbewertet.



Das Interview führte Christoph Arens .



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