Down-Syndrom-Bluttest in der Kritik

"Ethisch nicht vertretbar"

Ärzte, Behindertenverbände, Politik und Theologen debattieren über eine neue vorgeburtliche Untersuchungsmethode, die in den nächsten Tagen in Deutschland zugelassen werden soll. Schon mittels Blutabnahme bei Schwangeren kann künftig untersucht werden, ob das ungeborene Kind das Down-Syndrom hat. Peter Schallenberg ist Prof. für Moraltheologie an der theologischen Fakultät in Paderborn, er warnt im domradio.de-Interview vor den Folgen einer solchen Entwicklung.

 (DR)

domradio.de: Der Münsteraner Bischof Felix Genn hat den neuen Bluttest zur Früherkennung des Downsyndroms als "Irrglauben" heftig kritisiert. Der Bluttest, mit dem ja relativ einfach ermittelt werden kann, ob eine Trisomie 21 - also ein Down-Syndrom vorliegt oder nicht, sei ethisch nicht vertretbar. Wie sehen Sie das?

Prof. Schallenberg: Ich würde mich dieser Meinung vollständig anschließen. Ich halte das für einen weiteren Schritt auf die Selektion zu, d.h. es wird suggeriert, es handele sich um eine sicherere Weise der Erkennung von Trisomie 21, des Down-Syndroms. Das ist zweifelsohne der Fall, aber es wird nirgends thematisiert, auch nicht etwa auf der Homepage dieser Konstanzer Firma, was das Ziel dieser Erkenntnis sein soll. Also, mit welchem Ziel führt man diesen Test durch? Wir können daraus nur schließen, dass der Test durchgeführt wird, damit anschließend den Eltern die Information gegeben wird und die Eltern die Entscheidung haben das Kind zur Welt zu bringen oder nicht. Und das ist in unseren Augen Selektion.



domradio.de: Das heißt ganz konkret, welche Gefahr sehen Sie denn in diesem Test auch für Eltern?

Prof. Schallenberg: Ich sehe die Gefahr, dass der Druck auf Eltern, ein solches Kind nicht zur Welt zu bringen, noch zunimmt, was ohnehin schon heute der Fall ist. 90 % der Schwangerschaftsabbrüche gelten den Down-Syndrom-Kindern, d.h. es wird sozusagen die Mentalität noch verstärkt, dass es sich hierbei um eine unzumutbare Belastung handelt, dass das nicht nötig ist, dieses eingeschränkte Leben mit dem Down-Syndrom. Es wird ausgegrenzt und es ist eindeutig festzuhalten, und das hat zunächst gar nichts mit moraltheologischen Kriterien zu tun, dass es sich bei dem Down-Syndrom um ein eingeschränktes Leben handelt, mit eingeschränkten Möglichkeiten, aber in keinster Weise um ein schwerst behindertes Leben.



domradio.de: Es gibt ja inzwischen zahlreiche sogenannte integrative Kindergärten und auch Schulen mit Inklusion. Was löst das denn aus in unserer Gesellschaft, wenn wir von klein an auch lernen mit behinderten Menschen zu leben und auch gut zu leben mit ihnen?

Prof. Schallenberg: Ganz genau, daran hatte ich auch gedacht, an den von Ihnen erwähnten Punkt. Ich hatte just jetzt noch ein Gespräch mit Eltern eines Kindes, das am Down-Syndrom erkrankt ist. Das Kind ist jetzt 15 Jahre alt, die Eltern erzählten, dass es in integrativen Einrichtungen gewesen ist, Kindergarten zunächst und dann auch Schule. Und es ist noch einmal zu unterstreichen, dass die Normalität des Umganges mit Personen, die an solchen Einschränkungen leiden, durch solche neue Methoden der Selektion, schwerst beeinträchtigt wird. Das ist die Einschätzung des Lehramtes und der katholischen Moraltheologie.



Es wird einmal mehr der Eindruck erweckt, wir hätten die Möglichkeit perfektes menschliches Leben herzustellen. Und jeder, der diese Möglichkeit nicht wahrnimmt, ist dann im Grunde fahrlässig handelnd. Der kann dann möglicherweise auch verklagt werden später einmal, oder er ist mehr oder weniger nicht auf dem neuesten Stand der Technik und des Wissens. Dieser Eindruck wird erweckt.



domradio.de: Welche Bereicherung sind behinderte Menschen in unserer Gesellschaft?

Prof. Schallenberg: Rein säkular oder human gesprochen, also ohne die Perspektive Gottes und die Theologie hineinzubringen, würde ich sagen, dass grundsätzlich, wie schon Artikel 1 unseres Grundgesetzes sagt, die Würde des Menschen unantastbar ist, also kein Wert des menschlichen Lebens festgestellt werden kann. Darauf verweisen ja auch immer die Behindertenverbände zu Recht, dass wir keine Bewertung von menschlichem Leben und von Lebensqualität haben wollen.

Wir sprechen also von der Würde des Menschen und gehen dementsprechend davon aus, dass jeder Mensch eine Bereicherung unserer Gesellschaft und für den Mitmenschen ist. Wir verhandeln das in der Sozialethik unter dem Thema und dem Begriff der Inklusion: allen Menschen Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu bieten ungeachtet irgendwelcher Einschränkungen.



Theologisch würde ich ganz klar und zugespitzt sagen: Jedes menschliche Leben, jede menschliche Person ist ein Geschenk Gottes und es steht uns kein Urteil darüber zu, ob sie möglicherweise eine unzumutbare Einschränkung bedeuten könnte. Aus unserer Sicht ist jede menschliche Person eine Gabe und diese Gabe erfordert unsere Antwort, unsere Hingabe, unsere Aufmerksamkeit. Möglicherweise bei eingeschränkten Lebensmöglichkeiten mehr als bei weniger eingeschränkten Möglichkeiten.



domradio.de: Sehen Sie denn auch Vorteile dieser Analyse die jetzt dieser neue Test bietet?

Prof. Schallenberg: Ja, das ist eine schwierige Frage. Es war immer ein Argument für die Pränataldiagnostik gewesen schon vor 10 und 15 Jahren, dass die Eltern die Möglichkeit haben, durch eine  frühzeitige Erkenntnis einer mögliche Behinderung oder Einschränkung des Kindes, sich darauf vorzubereiten.

Ich habe selber auch im Freundes- im Bekanntenkreis Eltern, die diese Möglichkeit wahrgenommen haben. Die die Erkenntnis hatten, unser Kind wird behindert sein, vermutlich, wahrscheinlich. Und die sich dann mit Hilfe von Selbsthilfegruppen, von Elterngruppen, darauf vorbereiten konnten. Das hat den Eltern in meinem Freundes- und Bekanntenkreis gut getan. Je weiter das nach vorne geschoben wird, desto skeptischer bin ich, ob es sich wirklich auf Dauer um die Möglichkeit einer guten Vorbereitung handelt. Oder ob nicht doch eher die Frage gestellt wird, ob es nicht besser für dieses schwerbehinderte Kind wäre, dass es gar nicht zur Welt kommt. Und das, obwohl das Down-Syndrom meines Erachtens nicht als schwerer Behinderung zu sehen ist.



Die drängende Frage wird den Eltern sozusagen "unter die Haut geschoben", ob sie nicht in der Pflicht seien, dem Kind unnötige Qualen zu ersparen. Das ist der Fluch der Technik, dass muss man deutlich sehen und wissen. Die Moraltheologie spricht manchmal von dem Segen eines Nichtwissens und auch von dem Recht auf Nichtwissen. Ich würde das auch für diese frühen diagnostischen Verfahren in Anschlag bringen.



Das Interview führte Monika Weiß.



Hintergrund

Rettet der neue Test Leben oder führt er zu mehr Abtreibungen behinderter Kinder? Ärzte, Behindertenverbände, Politik und Theologen debattieren über eine neue vorgeburtliche Untersuchungsmethode, die in den nächsten Tagen in Deutschland zugelassen werden soll. Schon mittels Blutabnahme bei Schwangeren kann künftig untersucht werden, ob das ungeborene Kind das Down-Syndrom hat, das zu mehr oder weniger ausgeprägten körperlichen und geistigen Einschränkungen führt.



Ausgangspunkt für den neuen Trisomie-Test der Konstanzer Biotech-Firma LifeCodexx ist die in den 1990er gemachte Entdeckung, dass im Blut der Schwangeren auch Bruchstücke des Erbmaterials ihres ungeborenen Kindes zu finden sind. Die DNA-Schnipsel gelangen über die Plazenta in den mütterlichen Blutkreislauf. Dies macht sich der neue Test zunutze, indem er überprüft, ob die statistisch bei einem gesunden Kind zu erwartende Anzahl von Bruchstücken des Chromosoms 21 erhöht ist. Denn bei Down-Syndrom-Kindern liegt dieses Chromosom nicht zwei-, sondern dreimal vor.



Kritiker - vor allem von Behindertenverbänden und aus der katholischen Kirche - mahnen, dass das Nachdenken über die ethischen Auswirkungen mit der rasant fortschreitenden technischen Entwicklung nicht mehr Schritt hält.  Der Münsteraner Bischof Felix Genn kritisierte, wer glaube, bis ins Erbgut hinein alles machen und kontrollieren zu dürfen, unterliege einem Irrglauben. Eine derartige "Allmachtsfantasie" werde zunehmend blind und unempfänglich für den Glauben an Gott. Christen aber müssten Anwälte des Lebens sein. Der Bischof rief dazu, für eine Mentalität einzutreten, die "nicht auf Selbstverwirklichung, sondern auf Hingabe setzt". "Wir werden förmlich überrollt. Nach der Bundestagsfreigabe der Präimplantationsdiagnostik sehen wir nun den neuen Down-Syndrom-Test mit besonders großer Sorge", sagt Thorsten Hinz. Für den Geschäftsführer des Bundesverbands Caritas Behindertenhilfe trifft der neue Bluttest eine Aussage über lebenswertes und lebensunwertes Leben.



Diesen Vorwurf der gezielten Selektion behinderten Lebens weist LifeCodexx-Sprecherin Elke Decker entschieden zurück. Es sei falsch, von Dammbrüchen zu reden. An den ethischen Fragen der Pränataldiagnostik ändere sich durch den Test nichts, weil er nur an die Stelle anderer, längst verbreiteter Methoden trete.



Und das Unternehmen argumentiert, durch den Test sogar Leben retten zu können: Denn die Blutuntersuchung könne für das ungeborene Kind potenziell gefährliche Untersuchungen wie Fruchtwasseranalyse oder Gewebeentnahme aus der Plazenta (Chorionzotten-Biopsie) ersetzen. Nach diesen Eingriffen kommt es in seltenen Fällen zu Fehlgeburten. Was LifeCodexx allerdings nur indirekt einräumt: Fast immer wird es im Falle eines positiven Bluttest-Ergebnisses zusätzlich eine Fruchtwasseruntersuchung zur Bestätigung der Trisomie-Diagnose geben müssen.



Dabei steht der PraenaTest erst am Anfang neuer denkbarer humangentischer Diagnoseverfahren. Die Forschung bereitet schon die nächsten Schritte vor. Vor kurzem berichteten US-Wissenschaftler, das gesamte Genom - also alle genetischen Informationen - eines ungeboren Kindes entschlüsselt zu haben.



"Diese Art der Untersuchungsmöglichkeiten werden in den kommenden Jahren rasant zunehmen. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Und inwieweit aus DNA-Informationen abgeleitete statistische Aussagen zur Wahrscheinlichkeit für diese oder jene Krankheit hilfreich sind", sagt der Leiter der Freiburger Universitäts-Frauenklinik, Heinrich Prömpeler.



Eine genaue Statistik zu Schwangerschaftsabbrüchen nach Trisomie-Diagnose gibt es in Deutschland nicht. Gängige Annahme ist, dass die Quote bei 90 Prozent liegt. Nur sehr wenige Eltern entscheiden sich für das Austragen eines Kindes, von dem sie wissen, dass es das Down-Syndrom haben wird. "Die Pränataldiagnostik führt zu einer Selektion, das ist eindeutig", sagt Prömpeler.



Zunächst soll der von den Frauen selbst zu finanzierende, rund 1.250 Euro teure Trisomie-Test nur dann angewandt werden, wenn bei Routine-Untersuchungen - etwa beim sogenannten Ersttrimesterscreening - ein Verdacht auf Down-Syndrom entsteht. Kritiker gehen jedoch davon aus, dass der Test, einmal am Markt, mittelfristig als komplikationsloses Instrument von sehr viel mehr Frauen genutzt wird als heute die Fruchtwasseruntersuchung. "Und dann wird der Druck auf Eltern immer mehr wachsen, ein Kind mit Down-Syndrom abzutreiben", glaubt Behindertenhilfesprecher Hinz. (KNA)