CDU-Abgeordneter Liese bewertet embryonale Stammzellforschung als erfolglos

Zehn Jahre Stammzellgesetz

Die embryonale Stammzellforschung ist ihren Erfolg schuldig geblieben, urteilt CDU-Europa-Politiker Peter Liese im domradio.de-Interview. "Bei der Forschung mit embryonalen Stammzellen haben wir keinerlei Fortschritte für die Patienten erreicht", betont Liese, der auch Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken ist. Vor zehn Jahren wurde die ethisch umstrittene Forschung in Deutschland erstmals in einem Gesetz abgesteckt.

 (DR)

domradio.de: Herr Liese, Sie sind auch Arzt. Zehn Jahre sind in der medizinischen Forschung eine lange Zeit. Gibt es heute Therapieformen, die aufgrund der Stammzellforschung, den Patienten tatsächlich Nutzen bringen?

Peter Liese: In der Tat, zehn Jahre sind in der Medizin eine lange Zeit. Das medizinische Wissen verdoppelt sich alle sieben Jahre, aber bei der Forschung mit embryonalen Stammzellen haben wir keinerlei Fortschritte für die Patienten erreicht. Es gibt eine Firma in den USA, die Firma Geron, sie hat über Jahre hinweg regelmäßig die Erforschung einer Therapie am Menschen zur Behandlung von Rückenmarksverletzungen angekündigt. Vor etwa drei Jahren haben sie dann auch eine Genehmigung bekommen für Versuche am Menschen, diese Versuche sind erfolglos abgebrochen worden. Es gibt zurzeit nur noch einen Versuch überhaupt mit embryonalen Stammzellen am Menschen, der in Großbritannien stattfindet, mit sehr wenigen Patienten und offensichtlich ist es auch nicht der Durchbruch, den man sich erwartet hat. Auf der anderen Seite gibt es mit den Alternativen: Stammzellen aus dem Körper Erwachsener, Stammzellen aus dem Nabelschnurblut sehr, sehr große Erfolge. Über 70 Krankheiten weltweit werden damit zum Teil sehr erfolgreich behandelt.



domradio.de: Kritiker des Gesetzes wie die katholische Kirche, aber auch zahlreiche Politiker haben damals einen ethischen Dammbruch befürchtet, wie moralisch oder amoralisch hat sich nach Ihrem Eindruck die Forschung im Bereich Stammzellen seitdem entwickelt?

Liese: Das Gesetz wurde einmal aufgeweicht. Es wurde der Stichtag verschoben. Meiner Ansicht nach zu Unrecht, denn wenn überhaupt wissenschaftlich eine Forschung sinnvoll ist, ohne dass man die Ethik bewertet, dann wäre das die Grundlagenforschung und die kann auch mit Stammzelllinien vor dem ersten Stichtag stattfinden. Man hat ja den Stichtag verschoben, weil man gesagt hat, das sei unbedingt notwendig. Das hat sich nicht als richtig herausgestellt. Aber es gibt eben noch einen Stichtag und es gibt Regeln und von daher ist im Bereich der Forschung eine weitere Ausweitung im Moment nicht möglich. Was mich allerdings sehr schockiert hat - das war in gewisser Weise schon ein Dammbruch - dass der Bonner Forscher Oliver Brüstle vor dem Europäischen Gerichtshof in einer Patentstreitigkeit, es ging um die Patentierung von Zellen, die aus embryonalen Stammzellen gewonnen werden, durch seine Anwälte hat erklären lassen, dass es auch möglich sei, einen ganzen Embryo zu patentieren, also einen kommerziellen Besitzanspruch an ein menschliches Lebewesen in der Frühphase der Entwicklung. Das habe ich schon als einen Dammbruch in der Argumentation angesehen, zum Glück haben die Richter das in Bausch und Bogen zurückgewiesen.



domradio.de: Sie haben es angesprochen, der Stichtag wurde schon einmal verschoben auf den 1. Mai 2007. Erwarten Sie denn, dass jetzt diese Forderung nach einer weiteren Verschiebung oder nach einer weiteren Aufweichung des Embryonenschutzgesetzes uns bevorsteht?

Liese: Im Moment erlebe ich das Gott sei Dank nicht, dass diese Forderung erhoben wird. Es gibt in der Forschercommunity eine gewisse Ernüchterung und ich glaube auch, dass dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofes gegen die Ansinnen von Herrn Brüstle und seiner Anwälte die Debatte positiv beeinflussen wird. Also direkt hat die Frage der Patentierung natürlich nichts damit zu tun, welche Forschung in den Mitgliedstaaten erlaubt ist, aber ein Teil der Motivation mit embryonalen Stammzellen zu forschen, ist natürlich, dass man es auch patentieren lassen möchte, wenn das nicht geht, ist die Begehrlichkeit auch schon etwas reduziert.  



domradio.de: Ein Argument vor zehn Jahren war auch, dass Deutschland, wenn man dieses Gesetz nicht beschließen würde, den Anschluss an das internationale Niveau im Forschen verliert. Sehen Sie Deutschland "gut aufgestellt", was Forschung im Bereich der Stammzellen bedeutet?

Liese: Die Forschung an embryonalen Stammzellen wurde zu einem Symbolthema hochstilisiert. Die Frage ob wir forschungsfreundlich sind und ob wir uns im internationalen Wettbewerb durchsetzen können, hängt von vielen, vielen anderen Dingen ab und ich finde schade, dass man auf Kosten des menschlichen Lebens in der Frühphase der Entwicklung diese Diskussion geführt hat. Embryonale Stammzellforschung ist ein klitzekleiner Teil der Forschung insgesamt und deswegen ist es viel wichtiger, wie stellen wir uns in den anderen Bereichen auf.



Das Interview führte Mathias Peter (domradio.de)



Hintergrund:

Mit großer Mehrheit verabschiedete der Bundestag am 25. April vor zehn Jahren das Stammzellgesetz, das den Import menschlicher embryonaler Stammzelllinien, die bis zum 1. Januar 2001 gewonnen wurden, unter strengen Auflagen erlaubte. 2008 wurde der Stichtag auf den 1. Mai 2007 verschoben, weil Wissenschaftler die alten Stammzellen inzwischen für ungeeignet für die Forschung hielten.



Seitdem machen sich deutsche Forscher auch nicht mehr strafbar, wenn sie an Zellen arbeiten, die sie in Deutschland nicht benutzen dürften. Wissenschaftler erhoffen sich von der Forschung mit embryonalen Stammzellen, die zu mehreren Zelltypen reifen können, Fortschritte unter anderem in der Transplantationsmedizin.



Mit den in der Vergangenheit liegenden Stichtagen verfolgt die Gesetzgebung das Ziel, keine Anreize zur Herstellung embryonaler Stammzellen im Ausland zu setzen. Die Gewinnung der Stammzellen ist in Deutschland verboten. Für die Herstellung müssen Embryos zerstört werden, weshalb die Forschung damit ethisch umstritten ist.



Die Argumente im Gesetzgebungsprozess wurden daher auch quer durch die Fraktionen ausgetauscht. Auch die Kirchen meldeten sich in der Diskussion immer wieder zu Wort. So lehnte die katholische Kirche 2008 eine Verschiebung des Stichtags strikt ab. Der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hielt dagegen eine einmalige Veränderung des Stichtags für verantwortbar.



Laut Gesetz dürfen nach Deutschland nur sogenannte Stammzelllinien eingeführt werden, die aus Stammzellen gewonnen und mit bestimmten Funktionen ausgestattet wurden. Zudem müssen sie von Embryonen stammen, die zum Zweck einer künstlichen Befruchtung erzeugt wurden. Für die importierten Stammzellen darf zudem kein Geld gezahlt werden.



Als Alternative zu embryonalen Stammzellen stehen Forschern sogenannte adulte Stammzellen zur Verfügung, die aus Körpern Erwachsener gewonnen werden. Sie sind nicht so wandelbar wie embryonale Stammzellen. Durch die Entdeckung der induzierten pluripotenten Stammzellen, die experimentell in ein frühes Entwicklungsstadium versetzt werden, setzen Forscher aber inzwischen eine große Hoffnung in die Arbeit mit diesen Zellen.