Über den Katholikentag in der Diaspora

Die Suche nach den Suchenden

Die Katholikentagsstadt Leipzig an Fronleichnam: Während manch einer sich öffentlich bekreuzigt und betet, gehen andere ihrer nichtchristlichen Wege. Der 100. Katholikentag ist auch auf der Suche nach den Suchenden.

Autor/in:
Leticia Witte
Katholikentagsbesucher mit Schals / © Hendrik Schmidt (dpa)
Katholikentagsbesucher mit Schals / © Hendrik Schmidt ( dpa )

Christina Schmalfuß schiebt langsam den Kinderwagen vor sich her. Der Wagen ist grün und passt damit in diesen Tagen perfekt ins Leipziger Straßenbild. Hellgrüne Schals an allen Ecken und Enden, geschlungen um die Schultern von Besuchern des 100. Katholikentages. Doch damit hat Schmalfuß nichts am Hut, so wie viele Leipziger.

Zehntausende feiern den Jubiläumskatholikentag fünf Tage lang in tiefster Diaspora - in einer Stadt mit mehr als einer halben Million Einwohner, von denen rund 80 Prozent keiner Konfession angehören und nur etwa vier Prozent katholisch sind. Die ostdeutsche Region gilt ohnehin als einer der am stärksten entchristlichten Landstriche Europas. Ein Schwerpunkt des Katholikentages ist der Dialog mit Konfessionslosen.

Fronleichnam in Leipzig kein Feiertag

Hier beten und diskutieren nun also die Menschen mitten in der Fußgängerzone und auf zentralen Plätzen. Sie entzünden Kerzen und sind still, andernorts schmettern Tausende Kirchenlieder. Wie am Mittwochabend bei der Eröffnung auf dem Marktplatz. Das Spirituelle erobert die Leipziger Innenstadt.

Die 60-jährige Schmalfuß geht stattdessen ihrer Arbeit nach: Sie betreut Kinder von Forschern an der Universität. Auch Fronleichnam, einem katholischen Hochfest, das hier in der Messestadt aber kein Feiertag ist. Die Leipzigerin erzählt, dass sie zwar getauft, aber später aus der Kirche ausgetreten sei. "Früher haben wir uns in der Kirche aufgehoben gefühlt. Wir waren unter Gleichgesinnten", sagt die ehemalige DDR-Bürgerin. Für sie sei es weniger um das Spirituelle gegangen, sondern das Zusammensein mit ähnlich Denkenden in einem Rückzugsort innerhalb des Staates. "Jetzt sind die Leute frei, jetzt haben sie keine Zeit mehr."

Auch viele Nichtgläubige unter den Besuchern

Dass ein paar Meter weiter der Berliner Erzbischof Heiner Koch unüberhörbar einen Fronleichnams-Gottesdienst auf dem Platz vor der Oper hält, störe sie ganz und gar nicht, sagt Schmalfuß. Sie könne aber nicht recht einsehen, warum es «nur» ein Fest der Katholiken sei: "Man hätte das zusammen machen können."

Freilich bevölkern derzeit nicht nur eine Menge Katholiken die Innenstadt. Auch Protestanten, Orthodoxe, Anhänger anderer Religionen und Nichtgläubige sind dabei. So sagte der Leipziger Student Christopher Porkert, ein Agnostiker, am Tag der Eröffnung, er wolle mehr über den katholischen Glauben erfahren.

Beratung für Orientierungslose

An Leute wie ihn wenden sich auch einige Veranstaltungen auf dem Katholikentag. Etwa ein Podium mit dem Titel "Beten - aber wie?". Wer sich in Glaubens- und Lebensfragen beraten lassen will oder Orientierung sucht, kann eine Kontaktstelle ansteuern. Auf dem Programm steht zudem eine Diskussion "Mit den Suchenden auf der Suche - Christsein in einem nichtchristlichen Umfeld".

Daran will der Prager Religionsphilosoph Tomas Halik teilnehmen. In einem vorab verbreiteten Redetext betont er: "Ich bin davon überzeugt, dass nicht alles, was als Atheismus bezeichnet wird - sei es jetzt von draußen oder durch seine Anhänger - einen Gegensatz zum religiösen Glauben darstellt." Atheismus bedeute nicht unbedingt eine "Gottlosigkeit", sondern die Ablehnung "einer bestimmten Vorstellung von Gott". Ein "bestimmter kritischer Atheismus" könne helfen, etwaige "Hindernisse auf dem Glaubensweg" zu überwinden. Glaube sei keine Ideologie.

Eine eingeschworene Gemeinschaft

Aufgeschlossen steht Laeticia Hedrich in der Helferzentrale. Die 19 Jahre alte Studentin gehört zu den relativ wenigen Katholiken der Gastgeberstadt und will zum Gelingen des Festes beitragen. "Wir sind hier eine eingeschworene Gemeinschaft", sagt sie. "Ich verstecke mich nicht."

Am Ort der Fronleichnamsmesse zieht Christina Schmalfuß weiter. An einem Kiosk trinken ein paar Männer Bier, später wird am Altar der Wein bereitet. Passanten gehen achtlos vorüber, Gläubige stehen auf den Straßenbahngleisen und bekreuzigen sich. Erzbischof Koch predigt wider die Gleichgültigkeit Gott und den Menschen gegenüber. Sein Appell: "Bleiben wir hungrig nach mehr."


Quelle:
KNA