Katholikentag festlich eröffnet - Papstbotschaft auf deutsch

"Gegen dumpfen Nationalismus"

Mit einem stimmungsvollen Fest ist am Mittwoch in Leipzig der 100. Deutsche Katholikentag eröffnet worden. Bundespräsident Gauck rief zu Verständnis, Toleranz, Versöhnung auf. Der Papst schickte eine auf deutsch vorgetragene Botschaft

Eröffnungsfeier des Katholikentages / © Schmidt (dpa)
Eröffnungsfeier des Katholikentages / © Schmidt ( dpa )

Bei bedecktem Himmel betonten Vertreter aus Politik und Kirche die Rolle des Christentums für die moderne Gesellschaft. Papst Franziskus forderte in einer eingespielten Videobotschaft dazu auf, "der Stimme der Armen und Zerschlagenen immer mehr Raum" zu geben. In der modernen Gesellschaft erlebten Christen auf vielfältige Weise den "geschundenen Menschen", beklagte das Kirchenoberhaupt in seiner auf deutsch vorgetragenen Botschaft. Alte und Kranke würden von anderen Menschen, die über den Wert ihres Lebens urteilten, dazu gedrängt, rasch zu sterben. "Wir sehen, wie Menschen bloßgestellt, hin und her gestoßen und ihrer Würde beraubt werden, weil sie keine Arbeit haben oder weil sie Flüchtlinge sind."

Die Teilnehmer des Katholikentags legten dagegen mit ihrem Einsatz für Schwache und Bedürftige glaubhaft Zeugnis für ihren Glauben ab. Franziskus würdigte in seiner Videobotschaft überdies die guten Beziehungen deutscher Katholiken zu Mitgliedern anderer christlicher Konfessionen.

Gauck: Keine Jammerlieder anstimmen

Er sei als "evangelischer Mitchrist" gekommen, begrüßte Bundespräsident Gauck die Menge bei der Eröffnungsfeier. Trotz des bedeckten Himmels kam der frühere Pfarrer mit Sonnenbrille - mit lässigem Lächeln und grünem Katholikentags-Schal. Gauck, der ehemalige DDR-Bürger, erinnerte daran, dass Geschichte voll von überraschenden Wendungen sei, das wüssten gerade die Leipziger nur zu gut. Von dort kamen mit den Montagsdemonstrationen wichtige Impulse für die friedliche Revolution von 1989. Nur ein paar Meter vom Ort der Eröffnung entfernt steht die berühmte Nikolaikirche.
Gauck rief dazu auf, die Welt zu einem besseren Ort zu machen: "Geschichte kann sich auch in eine gute Richtung entwickeln, nämlich in Richtung Verständnis, Toleranz, Versöhnung. Inmitten all der meist schlimmen oder bedrohlichen Nachrichten der jüngsten Zeit sollten wir das nicht vergessen."

Und Gauck dankte "für den selbstlosen Einsatz vieler katholischer und evangelischer Christen für das Gemeinwesen", etwa in Caritas und Diakonie. Bei der Hilfe für Flüchtlinge sei dies in den letzten Monaten wieder sehr deutlich geworden. Es passe nicht zu Christen, "Jammerlieder über die Schlechtigkeit der Welt anzustimmen". Katholikentage seien ein Forum zu überlegen, "was man tun kann", und mit dem Handeln anzufangen.

Zum guten Schluss ermunterte Gauck die Teilnehmer zu christlichem Engagement: "Die Welt liegt im Argen. Aber da muss sie nicht liegenbleiben", zitierte er Johannes Rau (1931-2006). Noch ein Bundespräsident, der dritte heute. Die Reaktion: Beifall und großes Gelächter. "Nicht wahr? Das gefällt uns", bemerkte er mit verschmitztem Schmunzeln.

32.000 Dauerteilnehmer

Das fünftägige Treffen steht unter dem Motto "Seht, da ist der Mensch!" Die Veranstalter erwarten 32.000 Dauerteilnehmer und mehrere Zehntausend Tagesgäste. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, sagte, von der international geprägten Stadt Leipzig solle ein starkes Zeichen ausgehen: "ein Signal der Offenheit und der Toleranz gegen jedem dumpfen Nationalismus".

Sternberg betonte die Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen. Er fügte hinzu, für Christen sei die Würde aller Menschen nicht verhandelbar: "Deshalb können wir nicht wegsehen, dürfen wir nicht vorübergehen, wo andere unsere Solidarität brauchen. Und wenn Menschen Sicherheit vor Verfolgung und Not nur in unserem Land finden können, dann sind sie hier herzlich willkommen!"

Der Berliner Erzbischof Heiner Koch bezeichnete den Katholikentag als gemeinsamen Lernprozess "des Wahrnehmens und des Entdeckens Gottes und des Menschen". Christen und Nichtchristen verbinde "die Hoffnung auf und die Sorge um den Menschen". Aus Anlass des Jubiläums gab es auf der Bühne einen bunten Mix an Bildern, Reden, Einlagen und Musik.

Wulff: Signale gegen Hetze

Bei einem Festakt zum Auftakt des 100. Katholikentags hatten zuvor prominente Christen einen Aufbruch und Reformen angemahnt. Von Leipzig müsse ein klares Signal gegen Egoismus, Hetze, Machogehabe und Größenwahn ausgehen, forderte Altbundespräsident Christian Wulff.

Hetze und Nationalismus seien in Europa und weltweit auf dem Vormarsch, "auch weil christliche Werte nicht mehr genügend beachtet werden", sagte Katholik Wulff. "Wir brauchen ein entschlossenes Eintreten für ein freiheitlich-demokratisches Land mit den Werten unserer Verfassung, also auch der Religionsfreiheit, der Menschenwürde eines jeden, damit wir Polarisierung, Hetze und Hass in unserem Land zurückdrängen", so Wulff weiter. "Christen tun einer Gesellschaft extrem gut." Sie sollten immer wieder klarmachen, was wirklich zu verteidigen sei und wo das christlich-jüdische-abendländische Fundament liege.

Wulff empfahl Mekka-Pilger Mesut Özil allen Christen als Beispiel, die sich nicht trauen, öffentlich zu ihrem Glauben zu stehen. Dann erzählte er von einer Diskussion mit seinem Sohn über Flüchtlinge: "Wenn zu 500 Schülern an Eurer Schule drei dazukommen, könnt Ihr sie gut aufnehmen. Wir haben 500 Millionen Europäer, und drei Millionen Flüchtlinge kommen dazu. Warum sollen wir das nicht verkraften? Mein achtjähriger Sohn hat das kapiert."

Noch persönlicher wurde der gläubige Katholik anschließend, als es um das Lieblingsthema von Papst Franziskus ging - die Barmherzigkeit. Hier streifte der wiederverheiratete Geschiedene auch seine private Situation: "Als es mir nach eigenen Fehlern richtig schlecht ging, kam die meisten aufmunternden Worte und Gesten von Christen - bis hin zu vielen richtig gesunden Tees, die mir aus katholischen Klöstern geschickt wurden."

Katholikentage als Erfolgsgeschichte

Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf betonte, das 100. Glaubensfest sei "nicht nur ein harmlos schönes Jubiläum". Er regte Anstöße für Neuerungen an und sprach unter großem Applaus die neue Debatte über ein Diakonat der Frau an: "Was spricht eigentlich gegen ein klares Votum des Leipziger Katholikentags für die Weihe von Frauen zu Diakoninnen?" Nach den Anregungen von Papst Franziskus "wäre das ein deutliches Signal". Franziskus hatte Mitte Mai angekündigt, diese Möglichkeit prüfen zu lassen.

Trotz seiner Ermahnungen zu Reformen würdigte Wolf die Katholikentage als Erfolgsgeschichte. Ohne 100 Katholikentage sähe Deutschland anders aus. So gäbe es weder den Sozialstaat noch den Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes. Künftige Katholikentage müssten mutig und ohne Denkverbote und Tabus für Reformen in Gesellschaft und Kirche eintreten - notfalls mit einem "Schuss Ungehorsam gegenüber der Hierarchie - immer dann, wenn diese sich den Zeichen der Zeit gegenüber verschließen sollte".

An dem rund zweistündigen Festakt in der Oper nahmen zahlreiche katholische Bischöfe teil, ebenso Vertreter anderer Konfessionen und Religionen sowie Politiker. ZdK-Präsident Sternberg nahm auch Bezug auf aktuelle Debatten. An die Adresse von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sagte er, man wolle daran arbeiten, dass der "merkwürdige Eindruck" verschwinde, Sachsen sei nicht weltoffen.


 

Wulff auf dem Katholikentag / © Jan Woitas (dpa)
Wulff auf dem Katholikentag / © Jan Woitas ( dpa )
Quelle:
KNA