In Mannheim hat an Christi Himmelfahrt das Arbeitsprogramm begonnen

Sehnsucht nach einer menschlicheren, gerechteren und friedlicheren Welt

Wie werden wir morgen leben? Wie ist ein friedliches Zusammenleben der Kulturen möglich? Antworten auf diese Fragen suchen Referenten und Teilnehmer des 98. Katholikentages in Mannheim. Das Christentreffen dauert noch bis Sonntag.

 (DR)

Die Suche nach der Zukunft der Gesellschaft hat den Mannheimer Katholikentag am Donnerstag bestimmt. Erzbischof Robert Zollitsch warb für mehr Solidarität. Keiner dürfe wegschauen, wenn "Unrecht, Gewalt und jeglicher Extremismus ihr menschenverachtendes Gesicht zeigen", sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz auf der zentralen Eucharistiefeier vor dem Mannheimer Schloss. Die Menschen sehnten sich nach einem Aufbruch zu einer menschlicheren, gerechteren und friedlicheren Welt. An dem Freiluftgottesdienst zu Christi Himmelfahrt nahmen den Angaben zufolge 17.000 Gläubige teil, darunter viele Familien. Weiter prägten die Themen Ökumene, Missbrauch und soziale Gerechtigkeit das Christentreffen.



Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel forderte auf dem Katholikentag europaweite Spielregeln für eine soziale Marktwirtschaft. Dazu gehörten etwa Mindestlöhne und -steuersätze, sagte er auf dem Podium "Impulse für mehr soziale Gerechtigkeit". Als Beispiel für eine Schieflage nannte Gabriel EU-weite Ausschreibungen, bei denen etwa Unternehmen aus Portugal den Zuschlag mit Arbeitslöhnen erhielten, mit denen kein deutsches Unternehmen konkurrieren könne.



Matthias Katsch, Sprecher der Opferinitiative "Eckiger Tisch" (Berlin) hat auf dem Katholikentag "Null-Toleranz" gegen Priester gefordert, die sexuellen Missbrauch begangen haben. Diese dürften nicht nur auf Stellen versetzt werden, in denen sie keinen Kontakt mit Kindern hätten, sondern müssten entlassen werden. "Jemand der ein solch schweres Vergehen begangen hat, darf kein Priester bleiben", sagte Katsch am Donnerstag in Mannheim.



"Das Thema ist noch nicht durch", erklärte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann. Die Bischofskonferenz werde erneut über die Leitlinien gegen sexuellen Missbrauch beraten. In den USA gebe es eine Null-Toleranz für übergriffige Priester. "In Deutschland hat die Bischofskonferenz vor zwei Jahren aber anders entschieden". Zu fragen sei, inwieweit Priester auf eine Stelle außerhalb der Seelsorge eingesetzt werden könnten.



Hoffnung für konfessionsverschiedene Ehepaare

Der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst sprach sich indirekt für die Zulassung konfessionsverschiedener Ehepaare zur katholischen Eucharistie aus. "Wir müssen zügig zu Schritten kommen, die über die gegenwärtige Situation hinausgehen", sagte Fürst am Donnerstag beim Katholikentag in Mannheim. Er werde die Frage stärker als bisher in die katholische Deutsche Bischofskonferenz einbringen.



Martin Hein, Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, sprach sich für ein erneuertes Abendmahlsverständnis beider Kirchen aus. Jesus Christus sei der Gastgeber, nicht die Kirchen. "Was würde Jesus eigentlich zur gegenwärtigen Praxis sagen?" Das Leben sei weiter als die Dogmatik, unterstrich Hein. Für die Menschen, die von der Problematik betroffen seien, sei die Situation "ermüdend".



Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan beklagte eine große "Vorurteilsbereitschaft" gegenüber anderen Kulturen oder Lebensweisen. So werde beispielsweise der Islam in Deutschland schnell mit Extremismus oder Radikalität verbunden, sagte Schwan.

Statt auf Vorurteilen zu beharren, gehe es jedoch darum, die Angst vor den Anderen zu überwinden und in einen Dialog mit anderen Kulturen zu treten.



Die kenianische Journalistin Auma Obama kritisierte, dass zwischen den verschiedenen Kulturen kaum ein Dialog stattfinde. "Man hat sehr häufig keine Ahnung, aber schon eine Meinung", kritisierte die Halbschwester von US-Präsident Barack Obama, die auch in Deutschland studiert hat. Einen Dialog zu führen, bedeute Arbeit. Man müsse sich über eine andere Kultur informieren, um sie zu verstehen zu können.



Positive Zwischenbilanz

Die Veranstalter zogen am Mittag eine positive Zwischenbilanz. Vertreter des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) wiesen Kritik an dem Treffen in Mannheim zurück. Sowohl der Kölner Kardinal Joachim Meisner als auch Reformgruppen und der Theologe Hans Küng hatten sich kritisch zu dem Christentreffen geäußert. ZdK-Generalsekretär Stefan Vesper sagte, Kritik von außen solle nicht die Thematik des Katholikentags bestimmen.



Mehrere Bundespolitiker äußerten sich "sehr besorgt" über die Entwicklung in Ägypten. Unionsfraktions-Chef Volker Kauder sagte, es stehe "auf der Kippe", ob der arabische Frühling zu einem arabischen Winter werde. Fast 70 Prozent der neuen Parlamentsmitglieder seien Muslimbrüder und Salafisten. Dies werde sich zwangsläufig auf die Ausgestaltung der Verfassung auswirken. Der menschenrechtspolitische Sprecher der Bundesregierung, Markus Löning, sagte, die Revolution dürfe nicht zu einem Klima der Angst führen.



SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte neue soziale Regeln für Europa. Der Finanzkrise könne nur mit europaweiten Mindestlöhnen, Mindeststeuersätzen und Bankenregulierung begegnet werden.



Einsatz für die Kirchensteuer

Das Christentreffen war am Mittwoch eröffnet worden. Bis Sonntag werden mehr als 50.000 Besucher erwartet. Zahlreiche Bundes- und Landespolitiker treten auf dem Katholikentag auf. An diesem Freitag wird Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet. Insgesamt sind mehr als 1.200 Veranstaltungen geplant.



Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sprach sich in Mannheim gegen die Abschaffung der Kirchensteuer aus. "Die Kirchensteuer ist ein bewährtes Instrument, es gibt keinen Grund sie durch etwas anderes zu ersetzen," sagte der Grünen-Politiker am Mittwochabend dem Kölner domradio. Damit ging er auf Distanz zu einem Vorschlag aus seiner Partei. Mehrere Bundestagsabgeordnete der Grünen hatten die Erhebung einer "Kulturabgabe" nach italienischem Vorbild gefordert.