Unterwegs mit einer Karnevalsband

200 Auftritte in zwei Monaten

In den Karnevalshochburgen gibt es gerade gefühlt zu jeder Tages- und Nachtzeit irgendwo eine Sitzung. Um die Säle zum Tanzen zu bringen, werden Profis engagiert: Bands wie die Paveier. Eine Nahaufnahme aus den tollen Tagen.

Autor/in:
Jonas-Erik Schmidt
Karneval mit der Band Paveier / © Henning Kaiser (dpa)
Karneval mit der Band Paveier / © Henning Kaiser ( dpa )

Wer glaubt, der Präsident einer Karnevalssitzung habe keine Macht, muss jetzt in das Gesicht von Sven Welter schauen. Im Kursaal von Bad Honnef schwingen noch einige Arme rhythmisch im Takt, die Paveier - bei denen Welter Gitarre spielt und singt - haben ihre zweite Zugabe gegeben und sind jetzt eigentlich drauf und dran, von der Bühne zu gehen. In einer knappen Stunde müssen sie wieder in Köln sein, nächster Auftritt, 45 Minuten Fahrzeit ohne Stau. Doch dann, ja dann, ruft der Präsident in den Saal: "Ein bisschen Zeit hätten wir noch!".

"Geplant war das jetzt nicht", sagt Welter wenige Minuten später, versunken in seinem Sitz des "Dodge Ram", dem bulligen, pechschwarzen Bandbus. Vier Lieder plus eine Zugabe, so sieht das Programm eigentlich aus. Und dann meist noch eine Zugabe. In Bad Honnef, einem Städtchen hinter Bonn, haben sie nun auch noch Lied sieben gespielt. Spontan. Die in seliger Euphorie versunkenen Zuhörer im Saal konnten gar nicht auf den Gedanken kommen, dass das so nicht geplant war. Aber wenn ein Präsident sagt, man habe noch ein "bisschen Zeit", dann schafft das Fakten. Dann gibt es kein Zurück. Eiserne Karnevalsregel.

Fundament der Kölner Musikszene

Die Band, die nun in ihrem schwarzen Mini-Bus durch die Nacht rauscht, gehört zum Fundament der Kölner Musikszene - so wie die Höhner, die Bläck Fööss oder Brings. Es sind Bands, deren Texte man nur in einem engen Radius rund um den Kölner Dom richtig versteht - die es aber auch immer mal wieder außerhalb von Köln zu Bekanntheit bringen. Nämlich dann, wenn sie ein Lied haben, das die Leute zuverlässig auf die Bänke steigen lässt - ob in München oder Mallorca.

Die Paveier haben einige solcher Titel, die Band gibt es seit mehr als 30 Jahren. Im vergangenen Jahr lief es besonders gut. Da regierte ihr Lied "Leev Marie" in den Sälen faktisch durch. Die Band spielt es heute ohne Ansage. "Leev Marie" erkennt man am ersten Takt.

Zwischen Neujahr und Rosenmontag legen die Paveier Kilometer um Kilometer zurück. Eine reine Karnevalsband sind sie nicht - aber schon ziemliche Spezialisten. Rund 350 Auftritte im Jahr, allein mehr als 200 am Anfang des Jahres. Wobei heute ja ein "entspannter Tag" sei, sagt Welter. Sie haben drei Auftritte. Gestern waren es fünf, morgen sind es sieben. Das geht so von Dienstag bis Sonntag. Montag sei Waschtag, erklärt Welter, er meint das wörtlich. Er bringt dann immer seine Sakkos in die Reinigung. Im Bus ist es ziemlich warm.

Der Abend beginnt in Köln, Mädchensitzung. Heißt: Im Publikum sitzen nur Frauen. "Sind die leckere' Mädchen denn schon in Fastelovend-Stimmung?" ruft Hans Ludwig "Bubi" Brühl in den Saal. Er macht immer die erste Ansage, weil er zum Beispiel immer genau weiß, wie der Karnevalsverein exakt heißt oder wie der jeweilige Ort im örtlichen Dialekt ausgesprochen wird. Zum Beispiel Bergheim-Niederaußem. "Das weiß der Lange ja gar nicht", sagt er und meint den 1,97-Meter-Hünen Welter, der erst deutlich später als Bubi zur Band kam. Sie sind zu sechst: Bubi, Klaus, Detlef, Sven, Johannes, Markus. Bubi ist eines der Gründungsmitglieder. Man könnte ihn wohl mit verbundenen Augen auf die Bühne stellen, er würde trotzdem sofort erfühlen, wie die Leute vor ihm gerade drauf sind.

Songs, Zugaben, Fotos

Es geht los: Sie singen "Schön ist das Leben", "Kumm Mädche danz", "Heimat es" und natürlich "Leev Marie". Hinten im Saal fängt auch ein mindestens 70-Jähriger an zu tanzen. Man denkt sich, dass er wohl nur hier bei dieser Mädchensitzung sein darf, weil er zu den Offiziellen gehört. Dann noch zwei Zugaben - und wieder raus. Draußen im Foyer - wo sie vor dem Auftritt kurzerhand die Koffer für die Instrumente geparkt haben - posieren die Musiker noch für Selfies. Zwei Frauen, die ihre Kostüme mit Schaumgummi-Mäusen bestückt haben, bitten sie, für Fotos an so einer Maus herumzuknabbern.

Im Bus reibt sich Schlagzeuger Johannes Gokus Desinfektionsmittel in die Hände. Und danach ins Gesicht. In diesen Tagen weiß man einfach nicht, wer wem schon alles ein Bützje, einen unverbindlichen Wangenkuss, gegeben hat. Die Paveier jedenfalls bekommen viele Bützje. Johannes zieht sein Shirt aus und hängt es über eine im Bus eingebaute Standheizung, die auch im Parkmodus durchläuft. Deswegen ist es hier also so warm. Alles im Sinne der Gesundheit, erläutert Johannes. Viele Hände, viele Bützje, die Säle warm, im Bus darf man nicht plötzlich abkühlen.

Im Bus sind die Paveier alleine. Es gibt keinen aufgeplusterten Agenten, der um sie herumspringt. Die Instrumente werden selbst verladen und den Bus fährt Bubi Brühl. Das könne auch kein anderer, sagt er. "Der wurde gebaut, um auf der Route 66 geradeaus zu fahren. Daran haben die Amis ja nie gedacht, dass da mal eine Karnevalsband mit umherkurvt." Bubi kann sehr genau erklären, welche Teile schon mehrfach ausgetauscht werden mussten, weil der Dodge vor den Sälen immer wieder über Bordsteine rumpelt. Mehr als 20 Jahre ist er schon alt. Es ist ziemlich ruhig darin, es läuft kein Radio.

Vor 30 Jahren sei das alles viel weniger durchgeplant gewesen, ohne Agenturen, sagt Bubi. "Da ging noch viel schief." Mitunter habe man vor einer leeren Halle gestanden, weil irgendwo ein Datum verwechselt wurde. Heute ist das alles anders. "Der Karneval ist poppiger und musiklastiger geworden." In Köln gebe es vielleicht vier oder fünf vernünftige Karnevalsredner. "Aber 25 gute Bands."

Harte Konkurrenz im Karnevalskosmos

Die Konkurrenz in diesem kleinen Kosmos ist hart. Auf einem relativ überschaubaren Gebiet - vielleicht 100 Kilometer rund um Köln - versuchen mehrere Bands Jahr für Jahr den einen großen Karnevalshit zu landen. Ein Patentrezept dafür gibt es nicht. "Leev Marie" entstand "so beim Jammen", sagt Johannes. "Wir hatten mindestens drei Texte für die Nummer." Zeitweise trug das Lied mal den Titel "Crash Boom Bang". Man kann wohl sagen, dass sie mit dem jetzigen Text besser gefahren sind. Sänger Sven postuliert darin, er sei eine "Mischung aus George Clooney und nem Bär".

"Ich hoffe, dass heute "Leev Marie" gespielt wird!", begrüßt sie der Programmchef der Sitzung in Bad Honnef. Schon wieder stehen sie in einem Foyer, immerhin gibt es Currywurst und Limonade. Alkohol trinken die sechs überhaupt nicht bis zur Nacht vor Rosenmontag, ihrem letzten Karnevals-Auftritt in der Session.

Rosenmontag ist in Sicht

Das mit "Leev Marie" ist natürlich als Witz gemeint. Mit Skepsis, wie sie andere Bands zu ihren größten Hits mitunter kultivieren, braucht man den Paveiern nicht kommen. Das Publikum will "Leev Marie", es bekommt "Leev Marie". "Wenn wir das nicht spielen würden, wären wir auch schön blöd", sagt Johannes.

Bevor sie in den Kursaal können, begrüßt der Sitzungspräsident natürlich noch den Bürgermeister. Dann geht es hoch, quer durch den Saal, die Instrumente in der Hand. Tänzelnde Unaufgeregtheit. Auch der Sitzungspräsident, der sich dann irgendwann in der Zeit vertut, ändert daran nichts. Der Saal tanzt sowieso weiter.

"Wir geben den Leuten das Gefühl, dass wir nur für sie da sind", sagt Bubi. Ob erster Auftritt - oder siebter. Die da unten wissen das ja nicht. Dann rauscht der Dodge weiter durch die Nacht. Bald ist Rosenmontag.


Quelle:
dpa