Karnevalsfilm "Alaaf you" feierte Premiere

Die Essenz des jecken Wahnsinns

Über eine Frau, die nicht Karneval feiern kann, weil sie ihre Chemo hatte, von einer 99-Jährigen, die zu Karnevalsmusik tanzt, die Filmmusik und das Klischee "Karneval ist Saufen" sprachen die Filmemacher von "Alaaf you" und Clueso bei domradio.de.

Clueso, Baris Aladag, Eric Benz zu "Alaaf you" im domradio / © Matthias Milleker  (DR)
Clueso, Baris Aladag, Eric Benz zu "Alaaf you" im domradio / © Matthias Milleker ( DR )

domradio.de: Wie kam es zu dem Filmprojekt?

Eric Benz (Filmemacher): Baris und ich haben uns lange Gedanken gemacht, wie man Kino interaktiv gestalten kann. Und wir wollten das mal konsequent durchziehen. Da haben wir lange nach einem Thema gesucht. Irgendwann kam uns dann die Idee, dass Karneval eigentlich perfekt dafür ist, weil es zeitlich begrenzt ist, emotional aufgeladen und man kann eine größere Beteiligung der Leute erwarten oder zumindest erhoffen. Dass es am Ende so überwältigend war, damit konnten wir natürlich nicht rechnen. Wir haben über 500 Stunden Material eingesendet bekommen. Das war schon Wahnsinn.

domradio.de: Ist es wirklich so anders, als das was man im Fernsehen so kennt?

Clueso (Sänger und Songwriter der Filmmusik): Das kann ich beantworten, weil ich komme aus Erfurt. Was man aus dem Fernsehen mitbekommt, das sind viele Büttenreden. Sie gehören ja dazu und sind auch cool, aber für mich, der vorm Fernseher sitzt, ist das jetzt nicht so interessant. Der Unterschied ist einfach, dass es nicht wie Fernsehen aussieht, weil eben Leute das selber gefilmt haben. Es gibt einfach so viele private Momente. Und man versteht als Nicht-Kölner: Es ist es wirklich so, man muss nur aus der Tür gehen, und es spült einen schon irgendwo hin. Man muss nicht gezielt irgendwo hingehen. Ich finde, das merkt man dem Film auch an, dass die Leute einfach vor die Tür gehen und dann kommt die erste Giraffe hakt dich ein und es geht los.

domradio.de: Gibt es denn auch für die Kölner neue Einblicke in ihren Karneval?

Baris Aladag (Filmemacher): Es ist ja so, der Film bildet alles parallel ab. Jeder hat ja seinen Radius in dem er sich bewegt, ob das der Traditionalist ist, der auf Sitzungen geht, oder wir haben eine alte Dame im Film, die 99 Jahre alt ist und zu Hause bei sich feiert und tolle Weisheiten zum Besten gibt und dann noch mal tanzt und sich den Rosenmontagszug im Fernsehen ansieht. Das heißt, da gibt es schon viele ungesehen Momente, die man sonst nicht in einem Dokumentationsfilm so nicht einfangen würde. Die Leute bewegen sich ganz frei, weil eben der Enkel oder der Freund oder sonst wer die Kamera in der Hand hält. Es ist eben nicht ein Filmteam zu Gast für das man sich im Zweifel vorbereitet, sich schminkt, die Wohnung aufräumt. Sondern es ist einfach echt.

domradio.de: Wie ist das denn mit der Handy-Qualität, Betrunkene wackeln ja auch ziemlich. Ist das nicht etwas, wo man nicht so lange hingucken kann?

Benz: Wir hatten auch Angst davor. Aber das Interessante ist, das das tatsächlich keine Rolle spielt. Also Leute schauen sich Youtube-Videos an, die in schlechtester Qualität und mit schlechtem Ton sind. Und warum? Weil die Geschichte gut ist. Und so ist es hier auch. Natürlich gibt es viel bessere Kameras mit denen man drehen kann. Diese Frage stellt sich aber eigentlich nicht. Wir haben fast kein einziges Bild ausgeschlossen, nur weil die Kamera nicht gut genug war. Wir haben auch rauschige und wackelige Bilder aber das stört nicht. Wenn der Inhalt trägt und die Emotion rüber kommt, nimmt man das in Kauf.

domradio.de: Wie war das denn, die Musik auszudenken? Musste das Karnevalsmusik sein, oder was hast Du Dir ausgesucht?

Clueso: Das hat sich ergeben. Ich kenne die beiden Filmemacher ja schon länger und ich fand es toll, dass sie mich gefragt haben. Ich wollte schon immer Filmmusik machen im klassischen Sinne - nicht in der Rolle des Clueso. Aber es hat dann auch an manchen Stellen gepasst zu singen, weil es gerockt hat. Es ist auch nicht so viel Filmmusik von Nöten gewesen, weil ja viel Musik an Karneval stattfindet. Wir haben das dann an manchen Stellen eher als Ruhepol genutzt. Deswegen es gibt einen Partysong, da habe ich mich inspirieren lassen von verschiedenen Karnevalssongs und es gibt halt auch klassische Filmmusik. Ich bin großer Fan von der Filmmusik und dem Film "21 Gramm". So was in der Art habe ich versucht zu komponieren.

domradio.de: Neuer Reiz und Herausforderung für Clueso?

Clueso: Für mich macht es Spaß, ich habe unglaublich viele Filme gesehen, weil man als Musiker viele Wartezeiten hat, in Bus oder Bahn oder in Hotels. Ich mag Filme einfach. Ich habe immer schon Bock drauf gehabt. Ich werde halt immer als Clueso gefragt, das zieht halt besser, wenn der Typ auch singt und man ein bisschen mit ihm Promo machen kann. Hier war es anders herum. Ich hatte selber Bock drauf. Baris hat gesagt:  "Mach was du willst." Der Film heißt ja "Alaaf you". Ich habe einen Song, der heißt "Love The People", deshalb habe ich dann auch "I Love You" und "Love The People" gesungen, weil es zum Film passt.

domradio.de: Zwischendurch gibt es dann auch Clueso am Straßenrand stehend, Musik machend, kostümiert.  Haben die Leute Sie erkannt?

Clueso: Die haben uns erkannt. Die haben dann immer so Sätze gesagt: "Der sieht aus wie Clueso, das kann aber nicht sein." Da dachte ich, "wieso kann das nicht sein, ich habe doch eine Perücke auf. Also es ist Karneval, könnte er sein.“ Und dann als bestimmte Textzeilen kamen von einer Single oder so, dann haben sie es geschnallt. Die nehmen einfach Leute wahr, die Musik machen. Sie nehmen die Musik auf und ziehen weiter.

domradio.de: Gab es mutige Selfies oder Bilder aus Situationen, mit denen man nicht rechnet?

Benz: Mir kommt da direkt eine Szene in den Kopf, wo eine Frau allein Zuhause die Kamera aufstellt, und davon erzählt, dass sie gerade ihre erste Chemo-Therapie bekommen hat, nicht rausgehen kann und feiern kann, aber allen anderen Kranken Mut zuspricht: "Feiert Zuhause", lasst Euch nicht unterkriegen. Das geht natürlich total unter die Haut. Da ist ein Mensch, der gerade massive Sorgen und Probleme im Leben hat und dem der Karneval für einen kurzen Moment Heil bringt. Das sind natürlich Momente, die können nur so eingefangen werden und machen auch den Film aus.

domradio.de: In wie weit gibt es eine Dramaturgie? Ich stelle mir das schwierig vor mit der Menge von Material.

Aladag: Es gibt keine klassische Dramaturgie. Es gibt aber eine zeitliche Dramaturgie. Wir haben das ganze Event von der Nubbelverbrennung umschlossen. Das ist das Ende aber auch gleichzeitig der Vorausblick für die nächste Session. Und es gibt eine emotionale Dramaturgie. Also uns war es wichtig. Man geht da rein und man fühlt das alles mit. Man geht nicht mit Fakten raus oder hat viel gelernt, aber man hat das Gefühl aufgesogen. Man kommt in viele Situationen rein, in denen man sonst nicht wäre, in Wohnzimmern oder auf die Bühne mit dem Dreigestirn oder zur Kanzlerin im Flieger. Die Kamera ist wie ein Freund der mitläuft, dadurch ist man mit dabei in den Situationen. Wir haben versucht das zu steigern, und es wird extrem, mit Party, dann wieder den ruhigen Moment danach, und wieder das Aufbäumen.

domradio.de: Aber ich stelle mir vor die Besucher, die hier her kommen, und das Vorurteil haben, Karneval ist Saufen und das ist ekelhaft und furchtbar. Kann man denen Zeigen, wenn man denen den Film zeigt, das ist was Tolles?

Benz: Ja unbedingt. Natürlich gehört der Alkohol auch zu Karneval dazu. Karneval ist eine Zeit, in der Leute über Grenzen hinausgehen wollen, um sich selbst neu zu erfahren, um das Leben mit andern Augen zu sehen, um dann irgendwann wieder im Alltag zu versinken. Manche nutzen den Alkohol zum Spaß. Es ist ein Element, das dazu gehört. Aber man sollte es nicht überstrapazieren, dass das den Karneval ausmacht.

domradio.de: Wolfgang Niedecken kommt auch drin vor und er sagt, er sei das „perfekte Gegengift“ zur aktuellen Angst-Debatte um den Karneval, was sagen Sie?

Aladag: Das kann ich teilen, die Einschätzung. Wir sehen da ganz viele Menschen, die miteinander feiern und sich vorher auch nicht kennen und aufeinander zugehen und offen sind. Und wir hoffen, dass sich das auch nicht ändert. Weil das den Karnevals ausmacht. Ich glaube, die Polizei schafft gute Rahmenbedingungen und Karneval gab es schon in manchen Krisen und es wurde weiter gefeiert. Und es ist vielleicht eine kleine Krise. Aber ich glaube, das ist tatsächlich der Gegenpol, raus zu gehen und sich zu begegnen und offen zu sein.

Das Interview führte Dagmar Peters.

 


Quelle:
DR