Die geheime Sehnsucht nach wirklicher Verwandlung

Blick hinter die Maske

"Jede Jeck is anders", so lautet ein kölsches Sprichwort. Und genau das ist gewollt: Jeder möchte zu Karneval oder Fasching ein möglichst originelles Kostüm, eine tolle Maske tragen. Karneval zeigt sich unsere Lust zur Verwandlung besonders deutlich.

Autor/in:
Elke Deimel
 (DR)

Der Ausdruck «Karneval» stammt aus dem Mittellateinischen und Italienischen und bedeutet soviel wie «Fleischwegnahme» - nämlich zu Beginn der Fastenzeit. Da ließen sich die Venezianer und dann auch die Römer in der Mitte des 17. Jahrhunderts zur Linderung des bevorstehenden Verzichts etwas einfallen. Sie kreierten nach dem Muster der «Commedia dell'arte» ein aristokratisch anmutendes, rauschendes Kostümfest mit ausgefallenen Masken und Figuren, das am Donnerstag vor Fastnachts-Sonntag beginnt. Die Maskenträger blieben hinter ihren Masken unentdeckt und präsentierten eine bizarre, teils melancholische Scheinwelt. Wesentlich für das Fastnachtstreiben war es, für eine kurze Zeit eine Gegenwelt aufzubauen, in schroffem Kontrast zum Üblichen und Normalen.

Mit der Ausbreitung des katholischen Glaubens wurde auch der Karneval weithin bekannt - mit Teufeln, Hexen und Riesen. Die Vorstellung vom Teufel, der die Narren in die Hölle zerrt, gibt es seit dem Spätmittelalter. Am Ende des 17. Jahrhunderts entstehen nach und nach die deutschen, besonders die rheinischen Masken- und Narrenfeste. Im Kölner Karneval haben sich die Flecken- und Flickenkleider als Zeichen für die Sündenbefleckung bis heute erhalten. 1985 wurden fleckenbesetzte Kostüme sogar mit Hinweis auf den damaligen Flick-Skandal gezeigt mit Tafeln, die das Verhalten der Beteiligten anprangerten.

Neben freizügiger Sexualität - nicht nur in Rio de Janeiro oder Trinidad - spielte die Vergänglichkeit, deutlich an den vielen Totenmasken zu erkennen, eine wichtige Rolle. Beim Karneval im belgischen Binche werden durch Maskenwechsel an einem einzigen Tag die Lebensalter des Menschen vorgeführt: morgens als junger Mann, mittags in voller Kraft, abends als hinfälliger Greis - drastischer lässt sich die Vergänglichkeit kaum darstellen.

Ohne Ostern keinen Sinn
Hier kommt aber auch unmissverständlich die christliche Alternative ins Blickfeld: Die Fastnacht hätte ohne die Vorschau auf die Fastenzeit und die Auferstehung an Ostern keinen Sinn. In die gleiche Richtung weisen die spätmittelalterlichen Fastnachtsspiele, die die Hauptsünden thematisierten: Wollust, Unmäßigkeit, Völlerei, Trunksucht, Habsucht, Verschwendungssucht und andere. So lässt sich feststellen: Dem christlichen Leben der Umkehr in der Fastenzeit geht die Darstellung und das Ausleben des Unchristlichen in allen Erscheinungsformen voraus.

Hier taucht die Frage auf: Was bewegt so viele Menschen dazu, jedes Jahr diese Lust zur Verwandlung auszuleben? Warum schlüpfen wir so gern in eine andere Rolle? Ist es nur der Reiz des Verbotenen? Oder steckt dahinter nicht auch die Tendenz, das eigene Sosein zu verdrängen und sich lieber hinter einer Maske zu verstecken? Oder sind wir in unserer beruflichen oder privaten Welt so eingegrenzt, dass wir wenigstens einmal im Jahr aus unserer Rolle ausbrechen wollen? Haben wir vielleicht die Lust an uns selbst verloren und möchten ganz anders sein und neu anfangen können, etwas Ungewohntes wagen? Schlummert auf dem tiefsten Grund unserer Seele die geheime Sehnsucht nach echter Verwandlung, die nicht der Vergänglichkeit unterworfen ist? Die vielen Totenmasken geben dazu einen Hinweis, der in einer Präfation für die Verstorbenen ausgesprochen wird. Dort heißt es: «Deinen Gläubigen wird das Leben gewandelt, nicht genommen.»

Vielleicht kommt auch unsere kaum eingestandene Angst vor wirklicher Verwandlung am Ende unseres Lebens ins Spiel, auf die wir uns so schwer - und nicht mit Lust - einlassen können, weil wir keine Ahnung haben, wie sie letztlich sein wird.

Gott aber hat seine Lust und Freude an uns Menschen - auch im Karneval. So heißt es in der Luther-Übersetzung von Psalm 18,20: «Er führte mich hinaus ins Weite, er riss mich heraus; denn er hatte Lust zu mir.» Und im Psalm 37,4 werden wir eingeladen mit den
Worten: «Habe deine Lust am Herrn; der wird dir geben, was dein Herz wünscht.» Spricht uns da nicht Friedrich Nietzsche aus der Seele: «Alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit.» Nämlich die Ewigkeit einer unvorstellbar beglückenden Verwandlung, in der ich in meiner Einmaligkeit vollendet werde und die unbegreifliche, unendliche Liebe Gottes zu mir entdecke.


Quelle:
KNA