Warum verkleiden wir uns eigentlich an Karneval?

Dem wahren Ich freien Lauf lassen

Egal ob Karneval, Fasching oder Fasnet – wir maskieren uns, um unserem wahren Ich freien Lauf zu lassen. Wie kann man trotz Masken die eigene Individualität zeigen und warum es gut ist, nach Aschermittwoch die Maske nicht fallen zu lassen.

Autor/in:
Andreas Öhler
Weiberfastnacht (dpa)
Weiberfastnacht / ( dpa )

"Alle Menschen, welche leben / Alle, wie sie sich auch geben / Tragen Masken bis zum Grab / Nur in den tollen Faschingstagen / Wenn sie Narrenmasken tragen / Da nur fällt die Maske ab." - Der Herr, der diese Reime in der satirischen Zeitschrift "Fliegende Blätter" Anfang des 20. Jahrhunderts publizierte, zog es vor, die Maske der Anonymität zu wahren.

Verkleidet die eigene Individualität zeigen?

Ihm gelang mit diesem Scherzvers ein kleines psychologisches Kabinettstückchen. Er führt uns vor Augen, dass wir unser wahres Gesicht am ehesten dann zeigen, wenn wir es vermummen im Mummenschanz. Wenn uns Mimik, Verblassen oder Erröten nicht mehr verraten können, hoffen wir unser Ich mal so richtig aufleben zu lassen: Das ist eigentlich paradox, setzt es doch voraus, in ein Narrenkostüm zu schlüpfen, sich zu verkleiden. Ausgerechnet in der Ununterscheidbarkeit der Masse der Narren soll es gelingen, unsere ureigene Individualität zur Schau zu stellen? Von der Renaissance bis zur Belle Epoche frönte die elegante Welt der Galanterie dem Maskenball und der Camouflage.

Das ganze Jahr über müssen wir uns hinter Masken verstecken. Wir machen gute Miene zum bösen Spiel, wahren die Fassade, halten hinterm Berg, spielen mit verdeckten Karten. Doch stellen wir uns einmal vor, es gäbe keine Masken und unsere wahren Absichten stünden uns immerzu ins Gesicht geschrieben. Jedem wäre anzusehen, was er gerade denkt oder fühlt. Was für ein schrecklicher Gedanke. Das führte uns geradewegs in ein Tugendterror-System, in demsämtliche Beziehungen sofort ruiniert wären. Das ursprüngliche Wort für Maske heißt bekanntlich "Larve" - in einer durch und durch entlarvten Gesellschaft, gäbe es keinen sozialen Frieden. So viel Ehrlichkeit kann kein Mensch aushalten.

Das ehrliche Gesicht hinter der Maske

Zudem gibt es eine anthropologische Grundkonstante, die der Urmensch im Augenkontakt mit dem wilden Tier als Überlebenstechnik trainierte: Zeige deinem Gegenüber nie, dass du Angst hast. Ziehe vielmehr eine furchterregende Fratze, die den Angreifer vertreibt. "Verstellung, sagt man, sei ein Laster", konstatierte Goethe in seiner Schrift "Maskenzug", die er für den Weimarer Hof textete. Und er stellte klar: "Doch von Verstellung leben wir."

Der Vorwurf, jemand verberge sich hinter einer Maske, geht von der Tatsache aus, dass sich in Wirklichkeit dahinter ein ehrliches Gesicht befinde. Aber ist das nicht gerade die eigentliche Täuschung? Wer weiß im Übrigen schon, was sein echtes Ich ist?

Aus der Haut fahren

Von der Psychoanalyse wissen wir, dass der Mensch sich immerfort vor sich selbst maskiert. Wie definieren wir dann unser wahres Gesicht? Das wahre Gesicht ist eine Einbildung. Wir können ziemlich genau fühlen, dass wir jemand nicht sind oder nicht (mehr) sein wollen. Doch bloß weil wir raus aus unserer Haut wollen, kommen wir unserem Selbst damit noch lange nicht näher.

Oscar Wilde könnte recht haben: "Eine Maske erzählt uns mehr als ein Gesicht." Diese Erzählung möchte im Zeitalter, in dem das Authentische den höchsten Rang einnimmt, niemand mehr hören. Die Kluft zwischen Sein und Schein wird als moralischer Abgrund verteufelt. Wahrhaftigkeit ist oberste Tugendpflicht.

Keine Religion ohne Masken

Dabei liegt gerade über dem Spalt der Spannungsbogen für ein facettenreiches Leben. Die Künste haben das seit jeher begriffen. Alle Helden tragen Masken: Zorro, Superman - aber auch sein Gegenspieler Batman oder der Rächer Vendetta, deren Konterfeis sich die Datenhacker bedienen. Sie stehen am Ende der Kette dieses uralten Musters. Keine Religion ohne Masken. Die Menschen fertigten Larven aus Holz, Federn oder Tierhäuten und bildeten das Antlitz von Tieren, Göttern und Dämonen nach, um ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.

Im Internet, dem grenzenlosen Reich der Anonymität wird die Maske zu einer der wichtigsten Insignien. Kein Wunder, dass auch in der EDV, bei der Datendarstellung von Masken die Rede ist. Ob im Realen oder im Virtuellen: Ohne Masken würden wir Menschen einander nicht wiedererkennen.


Die als rosa Elfen kostümierte Karnevalisten Silvia mit ihrer Tochter Leni in Köln / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Die als rosa Elfen kostümierte Karnevalisten Silvia mit ihrer Tochter Leni in Köln / © Rolf Vennenbernd ( dpa )

Ein verkleideter Karnevalist lächelt beim Rosenmontagszug in Köln / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Ein verkleideter Karnevalist lächelt beim Rosenmontagszug in Köln / © Rolf Vennenbernd ( dpa )

Ein Clown im Karneval / © Herbert Sachs (epd)
Ein Clown im Karneval / © Herbert Sachs ( epd )

Karnevalisten / © Federico Gambarini (dpa)
Karnevalisten / © Federico Gambarini ( dpa )
Quelle:
KNA