Der Karneval im nordspanischen Lantz ist überraschend anders

Rätselhaft und archaisch

Nördlich von Pamplona ziehen zu Karneval Vermummte durch die Straßen. Zum Klang von Trommeln und Flöten verteilen sie Schläge statt Leckereien. Um das zu verstehen, muss man eine alte Legende kennen.

Karnevalsumzug in Lantz  / © Cristina Nunez Baquedano (KNA)
Karnevalsumzug in Lantz / © Cristina Nunez Baquedano ( KNA )

Es ist der ersehnte Augenblick. Ruckartig geht die Tür des Dorfgasthofs auf. Heraus stürzen vermummte, bunt kostümierte Gestalten und stoßen Freudenschreie aus. Unter Trommel- und Flötenklängen beginnt der Umzug durch den Ort. Die Vermummten wedeln mit Strohbesen umher und versetzen Besuchern sanfte Schläge.

Mittendrin wankt eine voluminöse Gestalt in Sackleinen durch die Gassen. Ganz hinten folgt auf den Schultern eines Trägers eine Riesenpuppe, die zur Musik tanzt und sich den Weg durch die Menge bahnt.

Nach einem freien Drehbuch

Eigentlich ist Lantz ein beschauliches Dorf in Nordspanien, 25 Kilometer nördlich von Navarras Hauptstadt Pamplona entfernt. Es liegt im grünen Tal des Flüsschens Mediano und wäre ein weißer Fleck auf der Landkarte - gäbe es nicht den Karneval. Dann herrscht Ausnahmezustand. Dann erlebt man eines der archaischsten Feste der Region.

Dafür braucht es weder Majestäten auf Festwagen noch ein Organisationskomitee, das ein striktes Zeitfenster vorgibt. Der Ablauf folgt einem freien Drehbuch. Es geht los, sobald sich in der bauernhofähnlichen Dorfgaststätte "Posada" alle satt gegessen und getrunken und sich auf dem weit ausgreifenden Dachboden in die Festtracht geworfen haben. Das geschieht am Karnevalsdienstag, dem Höhepunkt des Treibens, gleich doppelt: einmal mittags, einmal abends.

Teil der Identität

Luis Marinelarena, Mitte 40, stammt aus Lantz und ist einer von denen, die sich mit Haut und Haar beim Karneval einbringen. "Das gehört zu unserer Identität", sagt er. Er kennt die legendäre Geschichte im Detail, ohne deren Kenntnis das Karnevalstreiben für Außenstehende rätselhaft bleibt.

Es ist die Geschichte eines skrupellosen Banditen namens Miel Otxin, der immer wieder den Ort ausraubte. Eines Tages entschlossen sich die Dörfler zum Widerstand, angeführt vom korpulentesten, leicht ungeschickten Bewohner. Doch der Mut gab ihm Kraft. Er erklärte sich bereit, Miel Otxin zu stellen. Ihm zur Seite standen andere Dörfler, die vorsorglich ihre Gesichter verhüllten, da sie - sollte das Vorhaben fehlschlagen - Repressionen fürchteten. Letztlich glückte ihnen die Gefangennahme des Miel Otxin. Als Strafe erwartete ihn der Tod. Ob die Story stimmt und wann genau sie spielte, weiß auch Luis Marinelarena nicht.

 Spezifisches Festvokabular

Der legendäre Hintergrund ist eine, das spezifische Festvokabular eine andere Sache. "Ziripot" heißt der massige Anführer, der auf dem Dachboden der "Posada" sein Aussehen erhält. Dazu packen Helfer einen ihrer Kumpel aus dem Dorfkollektiv in Sackleinen. In diesen Aufzug stopft man solche Riesenmengen an Trockenpflanzen, dass sich der Mann kaum mehr bewegen kann. Während der Ankleide dürfen Besucher schubweise auf den Speicher hinauf, um die Zeremonie zu verfolgen. Mittendrin macht sich Luis zu schaffen. Als er dem "Ziripot" ein echtes Wildschweinfell auf den Rücken näht, fühlt er sich in seinem Element. "Ja, das ist ganz ähnlich wie sonst bei meiner Arbeit", befindet er und lacht. Luis ist Tierarzt.

Die Darsteller der Figuren wechseln. Heute mimt Luis einen der "Txatxus". So heißen die Dörfler, die dem «Ziripot» zur Seite stehen und sich in buntestmögliche Trachten hüllen, Tücher vor die Gesichter binden und Kopfbedeckungen aufsetzen, mehrheitlich Spitzhüte aus Krepppapier. "Jeder kann frei gestalten", sagt "Txatxu" Juanma, der um die Hüfte einen Gürtel aus Viehglocken und auf dem Kopf eine Fellperücke mit Hammelhörnern trägt. Eigenhändig geschlachtet habe er den Hammel nicht, "aber der Entwurf stammt von mir", sagt Juanma stolz. Dabei entfährt ihm ein kräftiges Rüchlein. Im Vorfeld der Straßenumzüge dürfen Wein und Höherprozentiges zur Stärkung und Aufwärmen der Teilnehmer nicht fehlen. In manchen Jahren schneit es zu Karneval in Lantz.

Feuriger Festabschluss

Bestandteil der umherziehenden Festgesellschaft ist auch das "Zaldiko". Es ist das Pferd des Miel Otxin, das den "Ziripot" während des Umzugs häufig umstößt, manchmal dargestellt von Tierarzt Luis. Dem "Zaldiko" zur Seite stehen ein paar Schmiede, die "Herreros". Der Miel Otxin selbst ist jene Riesenpuppe, die es auf eine Größe von über drei Metern bringt. Sie steckt in einem farbigen Kostüm, unter dem sich ausgebreitete Arme aus Birkenstämmen und eine Füllung aus Heu verbergen. Beim Mittagsumzug am Karnevalsdienstag, wenn sich die Umzügler am Ende auf dem Dorfplatz zum gemeinsamen Tanz versammeln, hat sie noch Galgenfrist. Abends geht es ihr an den Kragen. Dann wird der Miel Otxin verbrannt. Es ist der feurige Festabschluss in Lantz.

Tierarzt Luis muss schwer schlucken, wenn er daran denkt, dass er den Karneval in seinem Heimatort fünf Jahre hintereinander verpasste. "Zu der Zeit waren immer die Prüfungen", erinnert er sich an sein Hochschulstudium im fernen Zaragoza. Kam er kurz darauf in sein Elternhaus zurück, ging er zuallererst auf den Dorfplatz. Dort besah er wehmütig die Asche des Miel Otxin.


Quelle:
KNA