In Bischofsheim steht eine besondere Karnevalsschneiderei

Deutschland wird verkappt

In einem eher unscheinbaren Ladenlokal an der Grenze zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz besteht in dritter Generation eine närrische Familientradition fort: In der Kappenschneiderei werden Karnevalskappen jeglicher Farbe, Form und Größe angefertigt. Ein Besuch in Bischofsheim bei Mainz.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Eva Cezanne, Narrenkappenschneiderin / © Alexander Brüggemann (KNA)
Eva Cezanne, Narrenkappenschneiderin / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Kardinal Karl Lehmann hat mindestens drei Maßanfertigungen von ihr. Kaiser Franz Beckenbauer eine, Kanzler Helmut Kohl auch, die Schlager-Majestäten Dieter Thomas Heck und Vicky Leandros, unzählige Prinzenpaare, Elferräte und sonstige Tollitäten. Eva Cezanne ist Deutschlands ungekrönte Kappen-Königin, Meisterin der Narrenkappenschneiderei. In einem unscheinbaren Ladenlokal im hessischen 12.600-Einwohner-Ort Bischofsheim setzt sie in dritter Generation ihre verkappte Familientradition fort, die bis in die 1930er Jahre zurückreicht.

Kundschaft aus Frankreich, der Schweiz und Namibia

Cezannes Werkstatt mit saisonal bis zu zehn Mitarbeiterinnen ist eine bundesweit besondere Karnevalsschneiderei. Zwar stellen einige wenige Fahnenfabriken in Deutschland einige wenige Narrenkappen her. Aber eigentlich teilt sich "Cezanne Komitee" in Bischofsheim den Markt mit dem zweiten Spezialbetrieb im oberfränkischen Burgkunstadt - "absolut friedlich", wie Eva Cezanne betont.

Während die Schneiderei in Burgkunstadt vor allem den rheinischen Markt mit den Karnevalshochburgen Köln, Düsseldorf, Bonn, Aachen und Koblenz beliefert, ist die älteste und wichtigste Stammkundschaft von Bischofsheim die "Määnzer Fassenacht". Auch das karnevalserprobte Elsass und die Schweiz tragen Cezanne.

Als Lehrerin zu wenig Kreativitätsspielraum

Über den traditionsreichen Mainzer Carneval Club (MCC von 1899) reicht der Arm der Bischofsheimer Narretei bis nach Windhuk in Namibia, einst Deutsch-Südwestafrika. Selbst bei der deutsch-amerikanischen New Yorker Steuben-Parade waren schon Komiteekappen aus Hessen am Start. Und Papst Benedikt XVI. empfing 2012 mit "Helau" das Mainzer Prinzenpaar Johannes I. und Moguntia Anna I. im Vatikan; ihre Sonderanfertigungen stammten - natürlich - aus Bischofsheim.

Zwar wurde Eva Cezanne die Narrenkappe quasi in die Wiege gelegt; ihr Berufswunsch sah aber anders aus. Sie studierte und arbeitete fünf Jahre lang als Lehrerin. Doch ihre Idee von Kreativität im Unterricht drohte sich an behördlichen Lehrplänen abzuschleifen. Da wählte sie 1992, vor 25 Jahren, eine andere Form der Kreativität: Die junge Mutter schied aus dem Beamtendienst aus und übernahm den elterlichen Betrieb.

55 bis 1500 Euro für die Kappen

Eva Cezanne legt großen Wert auf kreative und individuelle Kappen pret-a-porter. Um die 4.000 Stück werden pro Jahr gefertigt; die genaue Zahl ist Betriebsgeheimnis. Es gibt ein Repertoire von 70 Grundmützen, die dann durch individuelle Elemente und Zusatzausstattung aufgewertet werden. "Damit kann man etwa das Hobby oder den Beruf des Karnevalisten oder das Vereinsmotto einbringen." So thront dann etwa ein Hundekopf als Galionsfigur auf der Kappe, oder ein Wappen, ein Logo oder ein Buchstabe wird aufgestickt oder appliziert.

Die Grundkappe für 55 Euro landet mit Zusatzausstattungen, zum Beispiel einer Metalltextilborte, Pailletten, Strasssteinen oder 1,30 Meter langen Pfauenfedern zu 27 bis 42 Euro schnell bei 180 oder 350 Euro. Kaninchenfellbesatz kostet 22 Euro, Marabu-Flaum 20 Euro. Der derzeitige "Rolls Royce" im Showroom Cezanne schlägt mit schlanken 1.500 Euro zu Buche: mehr als 100 Swarowski-Steine; Seide und gesmokter Brokat, sechs Meter Strassband; zehn Manntage Arbeit.

"Karnval lieber backstage"

Bei den Traditionsvereinen ist die Lagerhaltung vergleichsweise einfach: Klassische Stoffe und Ausstattung müssen über einen längeren Zeitraum verfügbar bleiben. Bei jungen Vereinen, die neue Ideen mit ausgeflippten oder modischen Stoffen und Farben wollen, ist die Sache schwieriger. Da bedarf es einer regelrechten Einkaufspolitik, um den Nachkauf gewährleisten zu können. "Kundenservice ist das A und O", weiß Eva Cezanne.

Früher kauften Vereine große Kontingente am Stück und legten sie für Neumitglieder beiseite. Heute würden statt 30 bis 50 Stück nur noch 3 bis 5 gekauft. "Dafür ist so auch eine Modernisierung innerhalb der Linie möglich", so die Kappenschneiderin. Sie selbst ist zu Beginn der Festtage platt; den großen Sitzungen bleibt sie fern. "Ich erlebe die Narren lieber backstage bei mir im Laden - das ist viel interessanter." Und dann fliegt sie zur Erholung nach Arabien oder Asien - und lässt sich von den Farben dort für die kommende Session inspirieren.


Quelle:
KNA