Wie reagiert die Jugend auf das Papstschreiben?

"Es braucht konkrete Schritte"

Fast 33.000 Wörter, das ist in Zeiten von Tweets und WhatsApp-Nachrichten eine Herausforderung: Der Papst schreibt der Jugend einen sehr langen Brief. Ob und wie der ankommt, weiß Thomas Andonie vom Bund der deutschen katholischen Jugend.

Papst Franziskus wird die neue Enzyklika in Assisi unterzeichnen / © Vatican Media (KNA)
Papst Franziskus wird die neue Enzyklika in Assisi unterzeichnen / © Vatican Media ( KNA )

DOMRADIO.DE: Das Schreiben nennt sich "Christus lebt". Ist das ein passender Titel?

Thomas Andonie (Vorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend): Das würde ich durchaus so sagen. Wir sehen, dass der Papst in seinem nachsynodalen Schreiben noch einmal ganz stark eine hohe Wertschätzung für junge Menschen zum Ausdruck bringt. Er sagt, das Herz jedes einzelnen jungen Mensch sei ein heiliger Boden. Und er betont, dass er in den jungen Menschen ganz besonders das Wirken Jesu Christi sieht.

DOMRADIO.DE: Er schreibt sogar, der Herr möge die Kirche von denen befreien, die die Kirche alt machen und sie auf Vergangenheit festnageln, bremsen und unbeweglich machen wollen. Wie kann man denn das interpretieren?

Andonie: Papst Franziskus sagt, die Kirche ist eine Kirche, die hinausgeht, die an die Ränder geht, die hinter den Mauern nicht verbleibt, sondern nach vorne geht und rausgeht in die Welt. Diese Kirche empfinden wir als sehr bestärkend. Er macht deutlich, dass die Kirche niemals perfekt ist, dass sie auch dazu lernt, immer gerechter und immer gleichwertiger zu werden. Sie muss immer mehr Menschen in den Blick nehmen. Die Erkenntnis wächst, die Wahrheit wird immer besser wahrgenommen in der Kirche. Und das muss dementsprechend Veränderungen mit sich bringen.

DOMRADIO.DE: Also Rückenwind für Veränderung?

Andonie: Franziskus sieht, dass diese Kirche Bewegung braucht, dass eine Kirche niemals eine stillstehende Kirche ist. Er ermutigt junge Menschen, das zu tun, von dem sie denken, dass es wichtig für sie ist. Alle jungen Menschen sind willkommen, völlig egal, mit welchen Erfahrungen, Fehlern oder Lebensgeschichten sie zur Kirche kommen. Er zeigt, dass die jungen Menschen willkommen sind und sie in den Verbänden, in den Gruppen und in den Bewegungen die Kirche vorantreiben müssen und sie partizipativ gestalten.

DOMRADIO.DE: Zum Schluss schreibt der Papst: "Die Kirche bedarf eures Schwungs, eurer Intuition, eures Glaubens. Wir brauchen das! Und wenn ihr dort ankommt, wo wir noch nicht angekommen sind, habt bitte die Geduld, auf uns zu warten." Das hat es so auch noch nicht gegeben, oder?

Andonie: Ja, das ist doch sehr charmant. Es zeigt auch noch einmal, dass Kirche eben etwas länger braucht, weil diese Kirche groß ist und sie sich entsprechend langsam bewegt.

DOMRADIO.DE: Fühlen Sie sich ernst genommen mit Ihren Reformforderungen? Werden die Erwartungen an die Synode erfüllt?

Andonie: Ja, wir merken, dass es auf weltkirchlicher Ebene angekommen ist. Der Vatikan muss jetzt aber auch Konsequenzen zeigen, wenn der Papst schreibt, dass es noch mehr Gerechtigkeit und Gleichheit zwischen Männern und Frauen in der Kirche geben muss. Die berechtigten Ansprüche von Frauen müssen auch entsprechende Aufmerksamkeit erfahren. Deutlich wird in dem Schreiben auch noch einmal mehr die große regionale Unterschiedlichkeit der Lebenswelten von jungen Menschen. Franziskus zeigt, dass es hier dezentrale Lösungen braucht. Prozesse müssen vor Ort und in den nationalen Bischofskonferenzen initiert werden. Und zwar auf Augenhöhe mit Vertreterinnen und Vertretern junger Menschen. Es braucht eine synodale Weiterentwicklung.

DOMRADIO.DE: Der Missbrauchsskandal klingt auch an in dem Schreibe. Es sei ihm ein Anliegen, dass man mit Mut die Taten anklagt und offen legt, so der Papst. Reicht das den Jugendlichen?

Andonie: Das reicht natürlich nicht allein. Die Kirche muss auch die systemischen Herausforderungen in der Frage des Umgangs mit sexualisierter Gewalt angehen. Da sagt der Papst, dass nicht hinter rigorose Präventionsmaßnahmen zurückgegangen werden kann. Es muss systemisch geschaut werden, wie die Kirche verhindern kann, dass junge Menschen Opfer von sexualisierter Gewalt, geistlichem Missbrauch oder sonstiger Ausbeutung werden. Auch da braucht es konkrete Schritte.

DOMRADIO.DE: Der BDKJ begrüßt also das Schreiben insgesamt?

Andonie: Natürlich bestätigt uns das Schreiben viele Sachen, die in der katholischen Jugendverbandsarbeit laufen. Soziales und politisches Engagement muss ganz eindeutig einhergehen mit der gelebten Glaubenspraxis. Und da gehört auch dazu, dass junge Menschen Verantwortung übernehmen, entsprechend fordernd an die Kirche herantreten und sie auch auf ihre Fehler und Skandale hinweist.

DOMRADIO.DE: Gibt es auch Bedenken, dass es vielleicht bei diesen vielen schönen Worten bleiben könnte?

Andonie: Das wird sich jetzt zeigen. Wir sehen ja, dass auch in Rom ein nachsynodaler Prozess in Rom angestrebt wird, der sich damit beschäftigen soll, wie die Synode in der Kirche umgesetzt werden soll. Das findet im Juni statt. Da werden wir sehen, inwieweit Taten folgen. Jetzt sind die Bischofskonferenzen am Zug, mit Vorschlägen aufzuwarten, über die wir dann diskutieren können.

Wir sehen auch beim synodalen Weg in Deutschland, dass Fragen von Mitbestimmung, Teilhabe und gleichberechtigter Leitung der Kirche durch das ganze Volk Gottes dazugehören. Da muss sich auch etwas bewegen, wenn die Kirche glaubwürdig für junge Menschen sein will und zu immer größeren Gerechtigkeit finden will.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Der BDKJ-Bundesvorsitzende Thomas Andonie vor einem Plakat / © Christian Schnaubelt (BDKJ)
Der BDKJ-Bundesvorsitzende Thomas Andonie vor einem Plakat / © Christian Schnaubelt ( BDKJ )
Quelle:
DR