Österreichs Jugendbischof Turnovszky zur Bischofssynode

"Migration ist ein Riesenthema"

Die Jugendsynode in Rom biegt in die Zielgerade ein. Im Interview erläutert Österreichs Jugendbischof Turnovszky, wie junge Menschen durch Soziale Medien unter Druck geraten und warum Begleitung wichtiger zu sein scheint als Sexualität.

Jugendliche Synodenteilnehmer am 5. Oktober 2018 im Vatikan bei der 15. ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode / © Stefano dal Pozzolo (KNA)
Jugendliche Synodenteilnehmer am 5. Oktober 2018 im Vatikan bei der 15. ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode / © Stefano dal Pozzolo ( KNA )

KNA: Herr Weihbischof, welche Themen haben Sie mitgenommen nach Rom?

Weihbischof Stephan Turnovszky (Wiener Weihbischof und Österreichs Jugendbischof): Zum einen natürlich Themen aus den Vorbereitungsdokumenten sowie aus Gesprächen mit Jugendlichen, die mir mitgegeben worden sind. Vieles davon ist bekannt. Mir selber war es wichtig, auch den vielfachen Druck zur Sprache zu bringen, unter dem, wie ich wahrnehme, viele junge Menschen heute stehen oder auch leiden.

KNA: Haben Ihnen Jugendliche davon erzählt?

Turnovszky: Ja. Ich weiß es aber auch aus dem, was Jugendliche über andere berichtet haben: Es geht um Erwartungen von Seiten der Eltern, der Schule, der Peer-group. Vieles lässt sich auch beobachten. Wie etwa Soziale Medien Druck ausüben: Wie viele "Likes" kriegt mein Bild? Wie schnell antworte ich?

KNA: Kommt dieses Thema auf der Synode angemessen zur Sprache?

Turnovszky: Ja, das habe ich einbringen können über unsere deutschsprachige Kleingruppe. Außerdem habe ich natürlich die großen Themen zur Synode mitgenommen wie Missbrauch in der Kirche, digitale Welt, Ökologie, Sexualität, Glaubensweitergabe ...

KNA: Gibt es eine Frage, die Sie auf der Synode gerne für sich klären wollten?

Turnovszky: Ich bin nicht mit einer Frage gekommen, die ich gerne klären möchte. Aber mit der Absicht, gut hinzuhören und mich bewegen zu lassen.

KNA: Was oder wer hat Sie bisher besonders bewegt?

Turnovszky: Bewegt hat mich das unüberhörbar große Bedürfnis junger Menschen, begleitet zu werden und in der Kirche mitgestalten zu können - das ist immer wieder präsent.

KNA: Nur hier auf der Synode oder auch sonst?

Turnovszky: Hier auf der Synode schon anders, als ich es sonst wahrnehme. Die jungen Auditoren hier sind fast alle kirchlich engagierte Menschen, die sich einen Platz in der Kirche wünschen, die gehört und qualifiziert begleitet werden wollen. In meinem Alltag - etwa bei Schulvisitationen - höre ich das viel weniger. Viele Jugendlichen wissen gar nicht, dass es die Möglichkeit gibt, von jemandem aus der Kirche begleitet zu werden – in welcher Form auch immer.

KNA: Sexualität spielt im Leben junger Menschen eine große Rolle. Ist es für sie noch irgendwie relevant, was dazu aus der Kirche gesagt wird?

Turnovszky: Bei diesem Thema merke ich – wie bei vielen anderen auch – große regionale Unterschiede. Relevant scheint die Lehre der Kirche bei jungen Menschen aus Osteuropa, Asien und Lateinamerika zu sein. Afrika kann ich schlecht einschätzen. In Westeuropa und Nordamerika ist das, was die Kirche zu dem Thema sagt, für die Mehrzahl der jungen Menschen wenig interessant und im Detail relativ unbekannt.

KNA: Wie groß ist die Bereitschaft auf der Synode, über dieses Thema zu sprechen?

Turnovszky: Es gab relativ wenige Wortmeldungen der jungen Auditoren zum Thema Sexualität; das hatte ich anders erwartet. Dennoch war es in den Sprachzirkeln deutlich präsent.

KNA: Woran könnte das liegen?

Turnovszky: Meine Vermutung: Eventuell sagen sich Teilnehmer: In den vier Redeminuten, die ich hier im Plenum habe, spreche ich lieber über etwas, das nicht schon derart gut bekannt ist, sondern über etwas, das mir wichtiger ist und bei dem ich eher etwas bewegen kann. Viel öfter wurde – wie gesagt – das Thema Begleitung und Mitgestaltung angesprochen.

KNA: Nicht nur in Österreich, der Schweiz und Deutschland erhalten populistisch-nationalistische Töne Zulauf. Wie groß ist diese Gefahr bei jungen Menschen, wer greift dies wie auf der Synode auf?

Turnovszky: In Österreich denken junge Menschen darüber auch nicht einheitlich. Ich beobachte, dass sie dazu tendieren, über Nationalismus und Migration so zu denken wie ihre Eltern. Wer aus einem liberalen Haus kommt, ist da aufgeschlossener; wer einen Hintergrund hat, in dem man weniger Berührungen mit Menschen aus anderen Kulturkreisen hat, der scheint mir weniger offen. Ich beobachte, dass die Jungen stark wie ihre Eltern "ticken" - was sie selber vielleicht nicht zugeben würden.

KNA: Welche Rolle spielt das Thema auf der Synode?

Turnovszky: Mir fiel auf, dass sich junge Menschen aus Ländern, in denen Christen in der Minderheit sind oder gar verfolgt werden, nicht nationalistisch geäußert haben. Die grenzen sich nicht ab in eine "Wir-sind-wir"-Haltung, sondern wollen in ihrem Land als Minderheit gut leben können. Natürlich äußert sich eine Minderheit in puncto Nationalismus anders als eine Mehrheit. Bei den Bischöfen ist Migration ein Riesenthema. Mit je eigener Perspektive, je nachdem ob sie von Auswanderung, Transit oder Einwanderung betroffen sind.

KNA: Haben Sie da Beispiele?

Turnovszky: Bischöfe in armen Ländern und aus ländlichen Diözesen sind besorgt, dass das Hinterland durch Stadtflucht verwaist, dass junge Menschen in Städten nicht genügend verwurzelt sind und dass die besten Köpfe das Land verlassen, weil gerade diese zu Flucht und Emigration fähig sind.

KNA: Und bei Transit und Einwanderung?

Turnovszky: Durchzugsländer und arme Aufnahmeländer besonders kontinentaler Binnenmigration wie der Libanon sind am Limit. Sie sagen, dass sie dringend Hilfe brauchen. Und bei Zielländern gibt es, wie wir wissen, unterschiedliche Haltungen und Interpretationen. In der katholischen Welt gibt es aber überwiegend die Haltung: "Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen bei uns aufgenommen werden und leben können, egal woher sie kommen."

KNA: Aber es gibt auch bei Bischöfen in Europa unterschiedliche Tendenzen?

TTurnovszky: Ja. Bei katholischen Bischöfen aus Osteuropa klingt das schon anders. Die votieren weniger dafür, Menschen aufzunehmen, sondern mehr dafür, Fluchtursachen zu bekämpfen, so dass es gar nicht zu Migration kommt.

Das Interview führte Roland Juchem.


Quelle:
KNA