Theologe: Kirche sollte sich auf Videoplattform positionieren

YouTube-Besuch statt Gottesdienstbesuch?

Im Gottesdienst sind Jugendliche selten. Vielleicht sucht man deswegen neue Wege. YouTube würde sich da anbieten, findet Jan Kuhn. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Angewandte Pastoralforschung an der Uni Bochum.

Jugendliche: Religion in YouTube erfahren? / ©  Jenny Tobien (dpa)
Jugendliche: Religion in YouTube erfahren? / © Jenny Tobien ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wenn Jugendliche nicht mehr in die Kirche kommen, muss die Kirche auf Jugendliche zugehen. Warum ist YouTube so ein gutes Medium dafür?

Jan Kuhn (Katholischer Theologe und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Pastoralforschung der Universität Bochum): In allererster Linie ist YouTube ein großes Medium, weil es der Marktplatz ist, in dem konsumiert wird, in dem sich verliebt wird, in dem gestritten wird, in dem kommuniziert wird, in dem erst mal Menschen im Austausch sind. Kirche hätte im Speziellen den Auftrag dorthin zu gehen, wo Menschen über Dinge reden, die relevant sind. Und deswegen ist YouTube ein guter Ort, für Kirche da zu sein.

DOMRADIO.DE: Sie sagen YouTube ist ein Ort, wo die Leute reden. Ich kenne YouTube eigentlich als Quelle für lustige Videos und Musikvideos. Wird da auch gesprochen?

Kuhn: Klar gibt es diese Katzenvideos oder irgendwelche lustigen Comedysachen, aber YouTube ist ganz breit, noch viel breiter eigentlich als das, was wir so im normalen Medienwesen haben. Es gibt eigentlich zu allem was im Internet. Seien es irgendwelche Tutorials, Anleitungen, Lebensfragen, die dort gelöst werden. Aber eben auch Katzenvideos und Glaube. Alles findet in YouTube seinen Platz. Das ist auch das Schöne daran, weil es unglaublich vielfältig ist.

DOMRADIO.DE: Der Papst veröffentlicht ja jeden Monat ein Video. Wie stark ist denn sonst die Kirche in YouTube vertreten?

Kuhn: Das, finde ich, muss man differenzieren. Wenn man schaut, ob der christliche Glaube auf YouTube vertreten ist, dann sind es jetzt nicht unbedingt die Institutionen, die ich an allererster Stelle dort nennen würde. Ich finde, da muss man schauen. Es gibt christliche Inhalte, die auch durchaus nicht kirchlich vorformatiert sind, also institutionell. Also, die Fragen, was liebe ich, wie glaube ich oder worauf hoffe ich, sind Themen, die durchaus auch eine Relevanz haben. Aber eben im Moment nicht kirchlich institutionell vertretbar sind. Also, das kommt mehr auf das einzelne Individuum an, auf die Persönlichkeiten, die auch sowieso schon in YouTube vorhanden sind. Die aus ihrem Leben erzählen, die so ein authentisches Zeugnis auch geben. Und dort ist eben auch der Glaube ein Thema, aber tatsächlich ist es institutionell eher ein unerforschtes Gebiet würde ich sagen.

DOMRADIO.DE: Die Frage ist, braucht es überhaupt die Kirche? Studien zeigen, dass Jugendliche im Grunde so etwas erwarten. Sie möchten gerne Antworten zu Fragen haben, die sie an ihr Leben stellen und an ihr Weiterkommen und Familie und so weiter und so fort. Und so wie Sie das gerade geschildert haben, finden die das ja alles in YouTube. Egal, ob von Kirche oder nicht?

Kuhn: Ja, ich glaube, die Lösung liegt daran, dass die Antworten nicht mehr so explizit vorgegeben werden. Sondern die Herausforderung, vor der Kirche hier steht, ist, dass Kirche einen Kommunikationsraum in YouTube eröffnen müsste. In dem auch genau um solche Themen gerungen wird. Aber das muss eben im Miteinander in der Kommunikation passieren, weil YouTube eine Plattform ist, auf der Meinung klar kundgetan wird. Also jeder gibt da ein authentisches Zeugnis "Ich stehe dafür" und begründet auch die Meinung. Allerdings lebt es dann nicht nur eben aus dieser oberen Spalte, aus dem Video an sich, sondern es wird auch ganz viel in der Kommentarspalte kommentiert. Und das ist die zweite Seite, die meistens in der Darstellung vergessen wird, wenn man über Katzenvideos redet, dass es eben sehr,  sehr viel Dialog ist.

DOMRADIO.DE: Aber Dialog heißt ja, dass dann die Kirche auch sehr aktiv und mit viel Manpower und mit sehr viel Klugheit und mit sehr viel Einfühlungsvermögen auch Antworten geben muss.

Kuhn: Ja, und ich würde noch eine Herausforderung erweitern: Wir müssen auch eine größere Pluralität zeigen, also das Verhältnis auf YouTube ist eher jünger von den Leuten, die dort auftreten. Also diese Altersgruppe ist ungefähr so der leicht ältere Bruder, die leicht ältere digitale Schwester, die dort dann mit einer sehr, sehr jungen Zielgruppe in Kommunikation treten. Und ich glaube, da brauchen wir auch noch so eine kleine Frischzellenkur in der Kirche, und die könnte uns, glaube ich, auch ganz gut stehen.

DOMRADIO.DE: Dann sind das auch keine Kirchenmitarbeiter mehr, sondern "Influencer", die auf Youtube diese Antworten geben und für den Glauben Werbung machen?

Kuhn: Ja, der Begriff "Influencer" ist durch die Werbeindustrie etwas negativ geprägt, aber eigentlich sind Influencer nur Menschen, die eine starke Präsenz haben und diese Präsenz durch die digitalen Medien noch wesentlich größer ist als in der analogen Welt. Und tatsächlich würde es uns auch ganz gut stehen, wenn wir auch im kirchlichen Bereich solche Influencer hätten. Die müssen noch nicht mal aus der Kirche selber kommen, sondern es geht auch über eine Kooperation mit jugendrelevanten Themen. Und dann kann man in einem Kommunikationsraum über Glauben sprechen oder über sinnstiftende Elemente.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass die katholischen Influencer eine Chance haben? Dass die glaubwürdig sind im Netz?

Kuhn: Ich glaube schon, dass es eine Chance gibt. Wenn man sich mal die Inhalte anschaut, die von der Community gefordert werden, findet man auch Fragen wie "Was ist der Sinn des Lebens?". Oder es werden ethische Fragen diskutiert, wie z. B. mit dem 3D-Druck von Organen oder DNA-Hacking... Diskussionsthema kann aber auch die Rolle der Ehe sein, das sind Inhalte, in denen die katholische Kirche durchaus eine Position hat. Und genau solche Positionen werden ja auch von den Jugendlichen ganz, ganz aktiv eingefordert. Und ich finde, da kann man sich auch ganz deutlich positionieren.

Das Interview führte Andreas Lange.


Quelle:
DR
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