Katholischer Jugendverbandschef zur Sinus-Jugendstudie 2016

Jugendliche auf Sinnsuche

In Berlin wurde die Sinus-Jugendstudie 2016 vorgestellt - Auftraggeber war unter anderem der BDKJ. Im Interview spricht dessen Verbandsvorsitzender über die Ergebnisse der Studie, die Werte sowie den Glauben der Jugendlichen in Deutschland.

Jugendliche sollten mehr eingebunden werden, findet die Caritas / © Markus Nowak (KNA)
Jugendliche sollten mehr eingebunden werden, findet die Caritas / © Markus Nowak ( KNA )

KNA: Zuletzt standen traditionelle Werte wie Freundschaft und Familie bei Jugendlichen hoch im Kurs. Ist dies weiterhin der Fall?

Wolfgang Ehrenlechner (Verbandsvorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend): Die heutige Jugend ist, wie die Studie zeigt, eben nicht einheitlich. Es gibt traditionell-bürgerliche Lebenswelten, in denen sich die Jugendlichen stark an konservativen Werten orientieren, es gibt aber auch Lebenswelten mit Orientierungen hin zu einem mehr postmodernen Wertespektrum. Für uns besonders wichtig und wertvoll an der Studie ist, dass sie zeigt, dass auch die Jugendlichen, die nicht-traditionelle Werte leben, trotzdem eine Wertebasis haben.

KNA: Welche Themen machen der Jugend besonders zu schaffen?

Ehrenlechner: Das Thema der persönlichen Zukunftsgestaltung, der Ausbildung und Berufswahl beschäftigt die Jugendlichen deutlich. Je nach Lebenswelt und Grad der formalen Bildung ist es ein positives oder eher mit Sorge besetztes Thema. Jugendliche sehen sich im Wettbewerb um gute Zukunftschancen. Ansonsten sind die Themen wie auch die Stile und die Wertorientierungen der Jugendlichen sehr unterschiedlich. Die Lebenswelt-Studie zeigt deutlich, dass die Jugend heute nicht mehr das eine, verbindende Thema hat, sondern vielfältig orientiert ist. Die Jugendlichen orientieren sich in ihren Lebenswelten, die Abgrenzung von der Elterngeneration ist im Allgemeinen kein vorherrschendes Thema.

KNA: In der Vorgängerstudie von 2012 haben sich Jugendliche gegenüber der Kirche eher kritisch geäußert. Hat sich etwas verändert?

Ehrenlechner: Christlich geprägte Jugendliche unterscheiden weiterhin zwischen persönlichem Glauben und der Kirche als Institution. Das Interesse für Sinnfragen ist konstant geblieben, und die Möglichkeit, aus der Kirche auszutreten, wird von den Jugendlichen nicht in Betracht gezogen. Die Kirche kann dann für junge Menschen eine respektierte Größe sein, der sie bewusst angehören wollen, wenn sie die Sinnfragen der Jugendlichen angemessen aufnimmt.

KNA: Gibt es womöglich einen "Franziskus-Effekt"?

Ehrenlechner: In der Studie haben wir das nicht gesondert untersuchen lassen, aber es ist sicher ein Effekt, dass Papst Franziskus verständlich und lebensnah vom Glauben spricht und für Jugendliche auch als Person sehr greifbar ist. Es kommt den Jugendlichen auf Glaubwürdigkeit an, diese ist in allen Lebenswelten ein wichtiger Wert. Dass Franziskus als Person sehr glaubwürdig ist, lässt Jugendliche noch einmal anders hinhören.

KNA: Laut der aktuellen Sinus-Studie bezeichnen sich viele Jugendliche als sinnsuchend und skeptisch gegenüber der Institution Kirche. Wie könnten die Kirchen Jugendliche eher erreichen?

Ehrenlechner: Wir haben nicht festgestellt, dass die Jugendlichen sich von der Kirche abwenden. Die Institution spielt an sich nur keine große Rolle bei ihrer persönlichen Sinn- und Glaubenssuche. Die Kirche kommt aber dann ins Spiel, wenn in ihr glaubwürdige Menschen anzutreffen sind, die als Glaubenszeugen fungieren. Das von der Würzburger Synode beschriebene "personale Angebot" ist immer noch das wichtigste Element in der kirchlichen Jugendarbeit. Dieses personale Angebot muss da sein, wenn Jugendliche die mit dem Heranwachsen verbundenen Sinnfragen stellen.

KNA: Warum verlagern sich die Themen Religion und Glauben, vor allem bei den Christen, zunehmend ins Private?

Ehrenlechner: Jugendliche betrachten den Glauben eher als Privatsache, was auch dazu führt, dass die Jugendlichen von heute religiös ausgesprochen tolerant sind und religiöse Vielfalt in ihrem Umfeld fraglos akzeptieren. Das heißt aber nicht, dass Religion und Glaube keine gesellschaftliche Wirksamkeit mehr hätten. Jugendliche, für deren persönlichen Glauben die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft eine Rolle spielt, geben ihren Glauben als Motiv für gesellschaftliches Engagement an.

KNA: Wie lässt sich der offenere Umgang mit Glauben und Religion der muslimischen Jugendlichen im Vergleich zu den christlichen Jugendlichen erklären?

Ehrenlechner: Bei muslimischen Jugendlichen spielt die Religion für das Selbstverständnis eine größere Rolle, insbesondere bei Jugendlichen mit Einwanderungsgeschichte, für die die Religion auch mit der Herkunftsidentität verbunden ist. Bei muslimischen Jugendlichen prägen außerdem religiöse Handlungen den Alltag mehr als bei christlichen Jugendlichen.

KNA: Wie wirkt sich die Bedrohung durch den internationalen Terror auf Jugendliche aus?

Ehrenlechner: Die Jugendlichen sprechen sich eindeutig gegen jede Form von religiös begründeter Gewalt und gegen jeden Terrorismus aus. Muslimische Jugendliche grenzen sich deutlich von islamistischer Gewalt ab. So tolerant die Jugendlichen untereinander bezüglich des religiösen Pluralismus sind, so klar ist für sie auch die Grenze zu Extremismus und Gewalt.

KNA: Wie schätzen Jugendliche die Flüchtlingssituation und damit das Zusammenleben mit anderen Religionsgruppen ein?

Ehrenlechner: Was die Religion angeht, sind Jugendliche wie gesagt an Vielfalt gewöhnt. Das Thema Flucht und Asyl beschäftigt die Jugendlichen und polarisiert. In allen Lebenswelten gibt es eine Mehrheit an Jugendlichen, die Verständnis für Geflüchtete äußern und die deutsche Politik der Aufnahme gutheißen. Eine Minderheit äußert Ressentiments, teilweise rassistisch motiviert. In traditionellen und in bildungsfernen Lebenswelten sowie bei der adaptiv-pragmatischen Mitte unterscheiden Jugendliche zwischen Kriegs- und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen und fühlen sich von letzteren tendenziell bedroht. Die Anpassung der Zugewanderten wird allgemein vorausgesetzt.

KNA: Welche Rolle spielen die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit für die jungen Menschen?

Ehrenlechner: Umweltschutz ist bei den Jugendlichen allgemein als ausgesprochen wichtig anerkannt. Dass die ökologische Zukunft des Planeten bedroht ist, beschäftigt die Jugendlichen, deshalb bewerten sie Engagement für die Umwelt und gegen den Klimawandel als nötig. Allerdings fehlen ihnen Kenntnisse über globale Zusammenhänge und Ansatzmöglichkeiten für eigenes Engagement.

Das Interview führten Romina Carolin Stork und Rainer Nolte


Wolfgang Ehrenlechner / © Harald Oppitz (KNA)
Wolfgang Ehrenlechner / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA