Mittelalterliche SchUM-Gemeinden auf dem Weg zum Welterbe

"Silicon Valley für die religiöse Entwicklung des Judentums"

Mauern und Grabsteine zeugen vom früheren Glanz und Einfluss der mittelalterlichen SchUM-Gemeinden. 900 Jahre nach der Blütezeit ermöglichen sie eine Spurensuche zum "Jerusalem am Rhein". Nun könnten sie Welterbe werden.

Autor/in:
Anna Fries
Friedhof Judensand in Mainz / © Harald Oppitz (KNA)
Friedhof Judensand in Mainz / © Harald Oppitz ( KNA )

Als SchUM-Städte sind die mittelalterlichen jüdischen Gemeinden Mainz, Worms und Speyer weltweit bekannt. SchUM, das Wort erschließt Juden auf der ganzen Welt einen Kosmos an Geschichten, Regeln und Traditionen. Die drei Gemeinden schlossen sich um 1200 zusammen und prägten Kultur, Glaube, Rechtsprechung, Architektur und Gemeindeleben des west- und mitteleuropäischen Judentums. Heute erinnern Teile mittelalterlicher Synagogen, Ritualbäder, Gemeindehäuser, Grabsteine sowie unzählige Geschichten an die frühere Blütezeit und laden ein zu einer Zeitreise ins "Jerusalem am Rhein".

"Silicon Valley für die religiöse Entwicklung des aschkenasischen Judentums"

Von der Unesco könnten die SchUM-Gemeinden nun in die Liste des Welterbes aufgenommen werden. Für diese Auszeichnung muss ein Gut von "außergewöhnlichem universellen Wert" sein. Der Speyerer SchUM-Koordinator Matthias Nowack sieht dafür gute Chancen: "Die Gemeinden waren im Mittelalter so etwas wie das Silicon Valley für die religiöse Entwicklung des aschkenasischen Judentums", sagt er. Manche Gesetze oder Lehren berühmter Rabbiner von damals spielen noch heue eine Rolle.

Ein Besuch offenbart drei Orte mit unterschiedlichem Zauber. Während der Synagogenkomplex in Speyer am ehesten einem Freilichtmuseum ähnelt, wirkt der Gedenkfriedhof in Mainz wie ein verwunschener Ort aus anderer Zeit, verbindet Worms am stärksten Tradition und gelebtes Judentum. Dazu warten je eigene Superlative auf: Worms mit dem ältesten jüdischen Friedhof Europas "Heiliger Sand", Speyer mit der am besten erhaltenen mittelalterlichen Mikwe, Synagoge und Frauenschul, Mainz mit einem einzigartigen Gedenkfriedhof.

In Mainz lassen sich Spuren einer jüdischen Gemeinde bis ins 10. Jahrhundert rekonstruieren. In Speyer siedelte Bischof Huzmann 1084 eine jüdische Gemeinde an - um das Ansehen seiner Stadt zu mehren. "Juden waren europaweit vernetzt, gebildet und lockten Baumeister und Gelehrte in die Stadt", sagt Nowack. Die enge Verbindung zwischen Bischof und jüdischer Gemeinde zeigt sich auch in der Architektur. So ähneln Kapitelle an der Mikwe Verzierungen am Speyerer Dom, da wohl an beiden Gebäuden die gleichen Handwerker arbeiteten.

Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart

In Worms hingegen verbinden sich Vergangenheit und Gegenwart. "Worms ist bis heute ein Ort, an dem sich Jüdinnen und Juden immer wieder neu verorten", betont die Geschäftsführerin des SchUM-Vereins, Susanne Urban. Dort stand ab 1034 nachweislich eine Synagoge, die mehrfach zerstört wurde - zuletzt 1938 von den Nationalsozialisten - und wieder aufgebaut. Rund ein Drittel der Steine sind original aus dem Schutt geborgen. Worms verstehe sich daher auch als "ein Ort jüdischer Resilienz, des Ankommens und der Verwurzelung, der zeigt, dass nicht immer alles auf ewig zerstört bleibt", sagt Urban.

Davon zeugen auch zahlreiche Geschichten rund um das jüdische Worms, die von Wundern und Überlebenden erzählen, von zurückweichenden Mauern, schnatternden Gänsen oder Lindwürmern, die Juden in wichtigen Momenten beistanden, sagt Urban. Viele Erzählungen ranken sich um Rabbi Salomo ben Isaak, genannt "Raschi", dessen Bibelkommentar im Judentum als ein Standardwerk gilt.

Als "offenes Geschichtsbuch" zeugen rund 2.500 sichtbare Grabsteine auf dem "Heiliger Sand" vom Leben der Gemeinde. Die Gräber sind mit Ausnahme eines Steins nicht, wie im Judentum üblich, nach Jerusalem ausgerichtet, sondern zum Synagogenbezirk und Italien - Richtung "Jerusalem am Rhein und dem Land der Gründerväter", sagt Urban. Papierzettel oder Blechkästen für Kerzen an manchen Grabsteinen weisen auf die Gräber berühmter Gelehrter hin, etwa des Rabbi Meir von Rothenburg.

Ebenso lässt der einzigartige Denkmalfriedhof, den die jüdische Gemeinde Mainz 1926 anlegte, die wechselvolle Geschichte der Juden in der Region erahnen. Dort ruhen rund 200 Steine, die verbaut in Brücken, Türmen oder Mauern gefunden wurden - darunter Grabsteine berühmter Rabbiner und der wohl älteste jüdische Grabstein nördlich der Alpen, datiert auf das Jahr 1049. Die Zeugnisse der SchUM-Gemeinden erinnern nicht nur an die mittelalterlichen Gemeinden, sondern zeugen von Brüchen und Traditionen und werfen einen Blick die Geschichte des Judentums in Deutschland.


Synagoge in Worms / © Harald Oppitz (KNA)
Synagoge in Worms / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA