Dialoginitiative kritisiert wachsende Judenfeindlichkeit

"Das ist das Letzte, das wir brauchen"

Der Antisemitismus in Deutschland tritt offen zu Tage, seitdem der Nahost-Konflikt wieder aufgeflammt ist. Hannelore Bartscherer sieht Parallelen zur Querdenker-Bewegung und übt heftige Kritik. Sie plädiert für eine frühe Prävention.

Polizeiliche Markierungen vor der Synagoge in Bonn nach einem Anschlag / © Julia Steinbrecht (KNA)
Polizeiliche Markierungen vor der Synagoge in Bonn nach einem Anschlag / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Bilder wütender Anti-Israel-Demonstranten, die antisemitische Parolen skandieren, sind weiß Gott nicht neu. Aber was sagen Sie, wenn Sie sie in diesen Tagen wieder und wieder sehen müssen?

Hannelore Bartscherer (Stellvertretende Vorsitzende der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit): Ich finde es schrecklich. Ich finde es einfach furchtbar. Dass sich das immer und immer und immer wieder in den letzten Jahren ereignet und das – wie ich es wahrnehme – mit steigender Tendenz, das macht mich sprachlos und es macht mich traurig und es macht mich wütend. Ich will mich davon aber nicht entmutigen lassen.

Hannelore Bartscherer / © Angela Krumpen  (ak)
Hannelore Bartscherer / © Angela Krumpen ( ak )

DOMRADIO.DE: Deutsche Spitzenpolitiker beziehen da ja sehr klar Stellung, Innenminister Seehofer zum Beispiel hat harte Strafen für antisemitische Übergriffe angekündigt. Was für eine Szene ist das denn genau, aus der diese Übergriffe kommen?

Bartscherer: Ich sehe das von außen, ich bin in dieser Szene nicht drin und kann nur das, was ich über die Presse wahrnehme, für mich selbst versuchen zusammenzubekommen. Ich glaube, es ist eine Protestgeschichte unzufriedener Menschen, die sich zusammentun und so dumpfe Parolen gerne aufnehmen. Der unterschwellige Antisemitismus ist ein dankbares Instrument, um das dann in ein solches Konglomerat hineinzunehmen. Eine andere Erklärung habe ich nicht.

DOMRADIO.DE: Das heißt, da vermischt sich etwas?

Bartscherer: Auf jeden Fall. Und vielleicht ist das vergleichbar mit der Querdenker-Bewegung in Corona-Zeiten. Da gibt es ja auch ganz unterschiedliche Gruppierungen, die sich da treffen. Und ich habe das Gefühl, das ist auch hier der Fall. Da ist viel Wut, da haben einige das Gefühl "Ich bin zurückgesetzt und irgendjemand muss schuld sein" Und Juden werden da zu dankbaren Objekten. Das ist blanker Antisemitismus.

DOMRADIO.DE: Um gegenzusteuern setzen Sie auf Prävention, indem Sie vor allem junge Leute ansprechen wollen. Haben Sie da ein konkretes Beispiel?

Bartscherer: Die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit versucht seit Jahren, mit großem Erfolg, wie ich finde, Projekte in Schulen hineinzutragen. Es gibt unendlich viele Lehrerinnen und Lehrer, die sich stark machen für dieses Thema, die unsere Geschichte beleuchten, aber auch nach Antisemitismus heute fragen: Wie sieht das heute aus? Was haben wir in dieser Stadt, in diesem Land ganz konkret für eine Situation? Sie besuchen mit ihren Schülerinnen und Schülern Synagogen, sie machen Unternehmungen mit ihnen, ganz konkret zum Beispiel Stolpersteine putzen.

Die Schule vor Ort, die sagt: "Wir gehen mit unseren Schülerinnen und Schülern in die Straßen in unserer Umgebung und besuchen Stolpersteine, die teilweise wirklich einen Lappen brauchen können." Und dann beschäftigen sie sich mit den Namen und der Geschichte der Personen, um die es auf den jeweiligen Stolpersteinen geht. Dann wird auf einmal alles sehr konkret und sehr nah und sehr deutlich und dann hat das auf einmal einen Bezug zu heute.

DOMRADIO.DE: Haben Sie die Hoffnung, dass Deutschland den Antisemitismus irgendwann einmal komplett los sein wird?

Bartscherer: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich bin natürlich der Meinung, dass wir Antisemitismus irgendwann komplett loswerden müssen. Ob uns das gelingt, weiß ich nicht, aber ich setze meine Hoffnung auf die Schulen. Und ich setze Hoffnung auf unsere Gesellschaft, die im Moment – und das ist für mich das Tröstliche – diesem Antisemitismus auch in einem großen Maß widersteht.

Da sind alle die – die Politiker und Politikerinnen, die Gewerkschaften, gesellschaftliche Gruppen, die Kirchen –  die sagen: "Da stehen wir gegen. Da sagen wir 'Nein, nie wieder, das darf nicht sein.'" Antisemitismus in diesem Land ist mit Sicherheit das Letzte, das wir brauchen und das wir tolerieren dürfen!

Das Interview führte Verena Tröster.

Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit haben ihren Ursprung in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Schriftsteller, Philosoph und Lehrer Martin Buber und der damalige Leiter des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt am Main, Franz Rosenzweig, suchten und förderten gemeinsam mit christlichen Partnern den christlich-jüdischen Dialog. 

Interreligiöser Dialog (Symbolbild) / © Friso Gentsch (dpa)
Interreligiöser Dialog (Symbolbild) / © Friso Gentsch ( dpa )
Quelle:
DR