Halle hält inne und erinnert

Bischof: Wunde noch spürbar

In Halle haben die Gedenkveranstaltungen an den Anschlag auf die Synagoge und die Opfer vor einem Jahr begonnen. Am Freitagmittag stand das öffentliche Leben in der Stadt für drei Minuten still. Busse und Bahnen stoppten.

Autor/in:
Leticia Witte
Gedenken an die Opfer des Anschlags von Halle / © Jan Woitas (dpa)
Gedenken an die Opfer des Anschlags von Halle / © Jan Woitas ( dpa )

Hunderte Menschen versammelten sich auf dem Marktplatz, darunter der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. Parallel läuteten alle Kirchenglocken der Stadt um 12.01 Uhr, dem Zeitpunkt der ersten Schüsse auf die Synagogentür. Danach spielte das Glockenspiel des Roten Turms das jüdische Lied "Shalom aleichem" (Friede sei mit dir).

Im Anschluss sagte der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer bei einem Mittagsgebet in der Marktkirche: "Die Wunde ist noch spürbar und nicht verheilt, auch wenn wir rasch wieder zum Tagesgeschäft übergangen sind." Er entzündete zwei Kerzen für die beiden Opfer, die der Attentäter erschoss. Dabei sagte Kramer: "Der laufende Prozess um den Anschlag zeigt uns, wie viel mehr Opfer diese Tat hat."

Bischof Feige findet angemessene Worte

Der katholische Bischof von Magdeburg, Gerhard Feige, sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "Es ist eine menschliche Katastrophe, dass Juden in Deutschland nicht in Frieden leben und Gottesdienst feiern können. Zweifellos hat die Polarisierung in der Gesellschaft auf allen Ebenen zugenommen." Um in einer solchen Atmosphäre menschliches Zusammenleben konstruktiv zu gestalten, brauche man "viel Kraft, Elan und Mut - das geschieht nicht automatisch."

Da sei auch die Zivilgesellschaft gefordert. "Unsere Demokratie muss sich als wehrhaft erweisen und ihre rechtlichen, sozialen und humanitären Errungenschaften zu verteidigen wissen", so Feige, der aus Halle stammt. "Meine Gedanken und Gebete am heutigen Jahrestag gehören den Familie und Freunden der beiden ermordeten Menschen, den Verletzten und unseren jüdischen Nachbarn."

Antisemitismusbeauftragter spricht von "Zäsur"

Klein sagte der KNA: "Der Anschlag von Halle markiert eine Zäsur, nach der die tödliche Dimension von Antisemitismus von niemandem mehr ignoriert werden kann." Der Angriff stehe in einer "schrecklichen Tradition" antisemitischer Straftaten der vergangenen Jahrzehnte. Er habe jedoch den Eindruck, dass Politik und Gesellschaft wachgerüttelt worden seien. Halle sei nur die "Spitze eines Eisberges", daher müssten die Wurzeln angegangen werden. Das sei nur durch gute Präventionsarbeit und eine mutige Gesellschaft möglich.

Am Nachmittag sollen im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an der Synagoge und dem Imbiss, wo der Attentäter je einen Menschen erschoss, Gedenktafeln enthüllt und Kränze niedergelegt werden. Für 17.00 Uhr ist die zentrale Gedenkfeier in der Ulrichskirche geplant.

Anschlag war an Jom Kippur geplant

Am 9. Oktober 2019 hatte der schwer bewaffnete Attentäter versucht, in der Synagoge ein Massaker anzurichten. Als er nicht eindringen konnte, erschoss er eine Passantin, einen Gast des Imbisses und verletzte auf der Flucht ein Ehepaar schwer. Er filmte seine Taten und streamte sie live im Internet. In der Synagoge hielten sich zu dem Zeitpunkt rund 50 Teilnehmer eines Gottesdienstes anlässlich des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur auf. Am 21. Juli begann der Prozess gegen den 28 Jahre alten Angeklagten aus Sachsen-Anhalt.


Quelle:
KNA