Zentralrat der Juden zum Anschlag von Halle

"Dieses Gefühl wünsche ich keinem von uns"

Ein knappes Jahr nach dem antisemitischen Anschlag von Halle wird in Köln am Donnerstagabend der Opfer gedacht. Abraham Lehrer, Vorsteher der Kölner Synagogengemeinde, sieht eine "völlig neue Qualität" antisemitischer Übergriffe in Deutschland.

Nach dem Angriff in Halle/Saale / © Hendrik Schmidt (dpa)
Nach dem Angriff in Halle/Saale / © Hendrik Schmidt ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Anschlag von Halle ist an Jom Kippur passiert, einem der höchsten Feste im Jahr. Macht das den Anschlag nochmal schlimmer?

Abraham Lehrer (Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorsteher der Kölner Synagogengemeinde): Ja. Die jüdischen Menschen unseres Landes gehen in die Synagogen, vergleichbar wie Christen in die Kirchen gehen und sich dort auf das Gebet konzentrieren wollen und in sich gehen. Dann müssen sie miterleben, wie draußen vor der Tür jemand Schüsse abfeuert. Und sie können vom Inneren der Synagoge alles verfolgen und wissen und sehen, was es bedeutet. Da versucht jemand, sie zu ermorden, reinzukommen und sie umzubringen. Dieses Gefühl wünsche ich keinem von uns.

DOMRADIO.DE: Wenn Sie ein knappes Jahr zurückdenken: Wie war das, als Sie vom Attentat von Halle erfahren haben?

Lehrer: Ich selber war auch in der Synagoge in der Roonstraße in Köln und wurde von unserer Sicherheit über die Vorkommnisse in Halle informiert. Natürlich haben wir sofort überlegt, was das für Auswirkungen hat. Was bedeutet es für uns in Köln? Müssen wir den Gottesdienst abbrechen? Müssen wir besondere Maßnahmen ergreifen? Wir haben direkt Kontakt zur Polizei aufgenommen und uns mit der Polizei abgestimmt, was zu tun ist und was zu lassen ist.

DOMRADIO.DE: Die Synagoge wurde von der Polizei in Halle nicht geschützt. Sind Sie als Zentralrat der Juden oder sind die Synagogengemeinden mit den Bundesländern da im Gespräch?

Lehrer: Ja. Die Schutzmaßnahmen der jüdischen Einrichtungen sind Ländersache, nicht Bundessache. Die Kollegen aus den Bundesländern haben normalerweise einen ganz guten Draht zu der örtlichen Polizei, aber auch zu den Landes-Innenministerien, die dafür sorgen, dass die Polizei vor der Tür steht, dass die entsprechenden Schutzmaßnahmen auch immer greifen sollen.

DOMRADIO.DE: Warum hat das in Halle aber nicht geklappt? Warum war da keine Polizei?

Lehrer: Es ist schwierig, das jetzt von außen zu sagen. Natürlich hat damals der Innenminister einige Erklärungsversuche abgegeben. Mich haben sie nicht so ganz überzeugt. Aber es ist so gewesen, dass es nicht gut genug geklappt hat. Sonst hätte das nicht passieren können. Es ist kein Geheimnis, wann Jom Kippur stattfindet.

DOMRADIO.DE: Vor wenigen Tagen gab es dann noch den tätlichen Angriff auf einen Juden in der Nähe einer Hamburger Synagoge. Da ist jetzt nicht viel passiert, aber es ist immer von Einzeltätern die Rede - helfen tut es aber trotzdem nicht.

Lehrer: Nein, uns ist es vollkommen egal, ob das Einzeltäter sind, Trittbrettfahrer oder sie Vorbilder haben. Entscheidend ist, dass wir eine rasante Zunahme von solchen Vorfällen haben. Die Attentate auf Einrichtungen haben schon in den letzten Jahren zugenommen. Aber jetzt steht ganz klar nicht mehr nur das Besprühen und Zerstören von Einrichtungen und Gebäuden im Vordergrund, sondern das wirkliche "Treffen". Man möchte den jüdischen Menschen "kaputt machen", ihn vernichten. Das ist etwas, was eine völlig neue Qualität darstellt und für uns so beunruhigend ist.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland / © Julia Steinbrecht (KNA)
Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR
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