Kölner Rabbiner Yechiel Brukner seit einem Jahr im Amt

Wanderer zwischen den Welten

Wer dem Kölner Rabbiner Yechiel Brukner zuhört, merkt nicht, wie die Zeit verfliegt. Der ehemalige Pädagoge weiß, wie er seine Zuhörer fesseln kann. Auch über sehr Persönliches streut er gerne eine Prise feiner Ironie.

Autor/in:
Leticia Witte
Yechiel Brukner / © Julia Steinbrecht (KNA)
Yechiel Brukner / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Die Stimme seines mittlerweile verstorbenen Vaters hat Yechiel Brukner noch auf Kassette. Darauf berichtet in 90 Minuten der Buchenwald-Überlebende über sein bewegtes Leben, in Deutsch, Jiddisch und Schweizerdeutsch. Diese Kassette sei ein großer Schatz für die Familie, sagt Brukner, seit September 2018 Rabbiner in Köln.

In der Melanchthon-Akademie der Stadt erzählt er am Mittwochabend nun selbst aus seinem Leben, zugewandt und in einer sympathischen Mischung aus Heiterkeit, Humor, feiner Ironie und tiefem Ernst. Die Veranstaltung heißt "Ich bin ein doppelter Apostel". Es geht um Heimat, israelische Politik, Antisemitismus - und Schnee.

Die Sache mit dem "doppelten Apostel" verweist mitnichten auf eine Doppelgesichtigkeit, sondern auf Brukners Leben zwischen den Welten: Drei Wochen im Monat verbringt er mit seiner Frau in einer Wohnung der orthodoxen Kölner Synagogen-Gemeinde. Eine Woche lebt das Ehepaar in Israel in einem Haus nahe der großen Familie. Der gebürtige Schweizer nennt das "Teilzeit" und ein Bedürfnis, aufzutanken.

Beinahe keinen Moment zum Ausruhen

Wenn er in Köln ist, hat er als Rabbiner viel zu tun: "Ich finde beinahe keinen Moment zum Ausruhen. Ich versuche so oft wie möglich, die Seele von Menschen zu berühren." Das wichtigste seien für ihn die Gespräche. Aber wenn er gefragt werde, wo er lebt, antworte er: "In Israel". Denn zu leben bedeute für ihn "dort zu sein, wo man tief mit der Seele ist", so der 1957 geborene Brukner.

"Israel ist ein integraler Bestandteil des Judentums." Diese Botschaft hinterlasse er, wenn er nach Israel reise. Und wenn er wieder nach Deutschland aufbreche, hinterlasse er dort eine andere Botschaft: "Ihr sollt wissen, es gibt Brüder und Schwestern im Exil." Und dort existiere jüdisches Leben.

Viele Gemeinden in Deutschland entstanden in den 1990er Jahren nach dem Zuzug von Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion. Oft hätten sie davor nicht viel mit dem Judentum zu tun gehabt und es im Ostblock unterdrückt. Sie seien nicht selten von ihrer Identität getrennt, es handele sich um Menschen, die "beinahe entwurzelt" seien, so Brukner.

Seine Mission sei es, mit diesen Leuten ins Gespräch zu kommen und eine Glut zu entfachen.

Das jüdische Leben im Exil, wie der Rabbiner es nennt, kann ziemlich vital sein. In Köln etwa kam just eine neue Facette dazu mit dem jüdischen Karnevalsverein "Kölsche Kippa Köpp". Dieses Leben kann aber auch schwierig und gefährlich sein. Vor mehreren Monaten wurde der Rabbiner, der eine Kippa auf dem Kopf trägt, wiederholt Opfer antisemitischer Schmähungen in öffentlichen Verkehrsmitteln, die auch überregional für Schlagzeilen sorgten.

Zivilcourage trainieren

Das führt Brukner zu einer neuen Mission: Zivilcourage zu trainieren. Dazu hätten Juden und Katholiken ein Projekt auf den Weg gebracht. Noch stünden die Initiatoren am Anfang. "Wir müssen etwas tun, um die schweigende Mehrheit dazu zu bringen, etwas zu sagen." In seinem Fall habe er erlebt, dass Zeugen sich nicht eingemischt hätten.

Dabei müsse man noch nicht einmal einem Aggressor die Stirn bieten, was sicher nicht jedermanns Sache sei, gibt Brukner zu bedenken. Stattdessen könnten Zeugen einem Opfer lautstark ihre Solidarität bekunden. Oder etwas anderes sagen, so dass ein Aggressor wisse, dass das, was er tue, nicht ohne Widerspruch bleibe.

Der Rabbiner setzt auch auf das interreligiöse Gespräch. "Ich kann schon viel Gutes sagen über die christlich-jüdische Zusammenarbeit in Köln." Für ihn sei dieser Dialog "das Natürlichste der Welt": In der Schweiz sei er vom Kindergarten bis zum Abitur in nichtjüdischen Einrichtungen gewesen.

Nachdenklich erinnert sich Brukner im Laufe des Abends in Köln wieder an seinen Vater: "Mein Vater hat seine besten Jahre mit Überleben verbracht." Er selbst habe sich entschieden, Bildung hochzuhalten und sie weiterzugeben. Erst als Lehrer in der Schweiz und in Israel, später als Rabbiner auch in Deutschland.

Eine seiner Töchter will nun Ende Dezember Urlaub bei ihren Eltern in Deutschland machen. Es soll in den Schnee gehen. "Ich bin schneeverrückt", sagt Brukner und kichert. Vielleicht soll es in die Eifel gehen? Aus dem Publikum kommt der Rat: "Lieber Sauerland."


Quelle:
KNA