Antisemitismus-Prävention in der Bildungsarbeit

"Nicht nur ein historisches Problem"

Nicht erst die Gewalttat von Halle an der Saale hat es gezeigt: In Deutschland ist der Antisemitismus zurück. In welcher Form zeigt sich das außerdem noch und wie kann man diesem Zustand in der Bildungsarbeit entgegenwirken?

Eine israelische Fahne an einem Gitter vor der Neuen Synagoge in Berlin / © Paul Zinken (dpa)
Eine israelische Fahne an einem Gitter vor der Neuen Synagoge in Berlin / © Paul Zinken ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wo zeigt sich der Antisemitismus denn ansonsten noch?

Sebastian Werner (Geschäftsführer der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit): Das sind Einstellungen, die in der Bevölkerung verbreitet sind und schon seit sehr langer Zeit existieren. Die äußern sich ganz unterschiedlich. Es gibt dieses Tabu des Antisemitismus. Deswegen haben wir es oft mit etwas niedrigschwelligeren Sachen zu tun, aber es gibt auch gewalttätige Übergriffe.

Fast jeden Tag wird in Deutschland ein jüdischer Friedhof geschändet. Jüdische Institutionen wie die Synagogen oder Schulen werden mit Graffitis beschmiert und viele Jüdinnen und Juden erfahren Beleidigungen oder Andeutungen. Wenn sie sich als jüdisch zu erkennen geben, dann reagiert die Umwelt auf einmal anders. Das sind Situationen, die alltagsprägend sind für Jüdinnen und Juden in Deutschland.

DOMRADIO.DE: Sie arbeiten an Methoden, um in Schulen genau darauf aufmerksam zu machen. Welche Methoden sind das? Was tun Sie?

Werner: Wir versuchen vor allem klarzumachen, dass Antisemitismus nicht nur ein historisches Problem ist, sondern versuchen vor allem, auf aktuelle Facetten des Antisemitismus einzugehen. Das heißt, wir arbeiten sehr viel zu Israel-bezogenem Antisemitismus, wo wir uns dann den Nahostkonflikt anschauen und da Erzählungen betrachten, die antisemitisch aufgeladen sein können.

Aber wir betrachten auch den Erinnerungs- und Schuldabwehr-Antisemitismus, der relativ weit verbreitet ist. Da arbeiten wir zum Beispiel mit Filmen zum Thema. Sehr wichtig in der Arbeit ist auch, die Betroffenen in irgendeiner Form zu Wort kommen zu lassen. Wir haben viel Material von jüdischen Jugendlichen in Form von Interviews oder kleinen Hör- oder Filmbeiträgen, mit denen wir an Schulen arbeiten, um klarzumachen, dass es so etwas alltagsprägendes ist.

DOMRADIO.DE: In Schulen in Nordrhein-Westfalen ist das Ganze auch schon erprobt worden. Wie ist das bisher angekommen?

Werner: Wir haben viele Anfragen von Schulen, denen wir immer gerne nachkommen. Wir machen da zum Beispiel kurze Workshops. Viel lieber machen wir noch selbst gestaltete Projekttage. Da haben wir einfach ein bisschen mehr Zeit, um mit den Jugendlichen zu arbeiten.

Antisemitismus ist aber kein Problem, das nur unter Jugendlichen stattfindet. Deswegen versuchen wir auch, mit den Lehrkräften oder anderen Multiplikatoren zu arbeiten, die sich mit Jugendlichen beschäftigen oder auch in ihren Peergroups wirken können, wenn sie bei uns die Inhalte bearbeitet haben.

DOMRADIO.DE: Auf einem Fachtag in Düsseldorf am kommenden Montag möchten Sie Ihre Arbeit präsentieren und mit anderen Akteuren in der Bildungsarbeit auch darüber diskutieren. Kann man sich da noch anmelden?

Werner: Da kann man sich leider nicht mehr anmelden. Wir sind sehr froh, dass die Nachfrage sehr groß war, die Liste ist voll. Allerdings gibt es auch wahrscheinlich im nächsten Jahr wieder die Möglichkeit. Wir sind gerade dabei, die Finanzierung für das nächste Jahr klarzustellen. Und wenn das alles funktioniert, werden wir sicherlich auch im kommenden Jahr wieder einen Fachtag anbieten.

Das Interview führte Verena Tröster.


In einer Synagoge / © Taliv (shutterstock)

Halle: Menschen legen an der Mauer der Synagoge Blumen und Kerzen nieder / © Hendrik Schmidt (dpa)
Halle: Menschen legen an der Mauer der Synagoge Blumen und Kerzen nieder / © Hendrik Schmidt ( dpa )
Quelle:
DR