Hallenser Propst zum Angriff auf die jüdische Gemeinde

"Wir müssen jetzt Solidarität zeigen"

Für Christen ist klar: Juden sind unsere älteren Schwestern und Brüder im Glauben. Wie reagiert die katholische Kirche in Halle auf die erschreckenden Ereignisse vom Mittwoch? Propst Reinhard Hentschel über einen Tag im Ausnahmezustand.

Halle im Ausnahmezustand (dpa)
Halle im Ausnahmezustand / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie von den Ereignissen erfahren?

Propst Reinhard Hentschel (St. Mauritius und St. Elisabeth Halle): Heute Mittag hat mich die Nachricht erreicht über den Rundfunk in der Mittagspause. Das hat mich erst mal furchtbar schockiert und verstört, was da passiert ist. Die Nachrichtenlage war noch sehr unklar. Die Rede war von einer Schießerei mit zwei Toten. Ich wusste aber auch noch nicht, wer diese Toten waren, ob Passanten, oder ob die Opfer gezielt ausgesucht wurden. Ich hatte heute Nachmittag einen Termin bei den Schwestern der Heiligen Elisabeth. Zwei Stunden habe ich die Lage nicht mehr verfolgen können, habe aber die tiefe Betroffenheit unserer Ordensschwestern bemerkt, und habe auch versucht, sie seelsorglich aufzufangen. Wir haben gebetet für die Opfer und die Einsatzkräfte. Zurück im Büro habe ich unseren Vikar getroffen, der auch verunsichert war.

DOMRADIO.DE: Wie war zu dem Zeitpunkt die Lage in der Stadt?

Hentschel: Es war sehr ruhig geworden. Ich wohne etwa zwei Kilometer vom Tatort entfernt, war also nicht unmittelbar betroffen, aber die Lage in der Stadt war spürbar anders. Der gesamte Straßenbahn- und Busverkehr war lahmgelegt. Der Bahnhof war geschlossen.

Vor meiner Haustür geht die Hochstraße vorbei, die war total verstopft. Es war alles gesperrt, auch wegen der Fahndungen. Die Menschen sahen zu, dass alle nach Hause kommen, da die Polizei dazu aufgefordert hatte, die Wohnungen nicht zu verlassen. Ich habe in unserer Kirche die Kirchenwächterin nach Hause geschickt. Die Mitarbeiter auch, die sollten sich in Sicherheit bringen. Ich habe mich auch nach denen erkundigt, die nicht hier waren, denen geht es Gott sei Dank allen gut.

DOMRADIO.DE: Gibt es schon Überlegungen, wie Sie als Kirchen in Halle mit diesem Vorfall umgehen werden?

Hentschel: Heute Abend habe ich versucht, die Kollegen der evangelischen Kirche zu kontaktieren, um zu schauen, was wir machen können. Wir müssen den traumatisierten Menschen einen Ort geben. Da müssen wir sehen, dass wir morgen ökumenisch zusammen kommen. Das ist aber nicht so schnell getan. Wir haben hier in Halle keine Erfahrungen mit Krisenstäben oder ähnlichem. Aber unsere Bischöfe haben sich schon geäußert, auf katholischer und evangelischer Seite. Dafür sind wir sehr dankbar.  Das Thema wird definitiv auch am Sonntag im Gottesdienst eine Rolle spielen. Ich muss sehen, wie ich das in der Verkündigung aufgreifen kann. Die Menschen erwarten ein Wort des Trostes und der Verständigung.

DOMRADIO.DE: Es wird vermutet, dass der Angriff einen rechtsradikalen Hintergrund hatte. Einer der zwei Tatorte war vor der Synagoge in Halle. Was empfinden Sie da?

Hentschel: Mich hat tief bekümmert, dass die Synagoge betroffen ist, gerade heute an Jom Kippur, dem Versöhnungsfest, dem höchsten Fest im jüdischen Kalender. Wir müssen jetzt Solidarität zeigen mit den jüdischen Schwestern und Brüdern. Wir wollen auch schauen, ob wir gemeinsam in interreligiöser Verbundenheit in irgendeiner Form reagieren. Dafür ist es aber auch noch zu früh.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.