Jüdischer Bestsellerautor über zunehmenden Antisemitismus

"Ein glücklicher Mensch kann kein Rassist sein"

Hetze, Morddrohungen, Antisemitismus. In den sozialen Medien herrscht eine Aggressivität, die das friedliche Miteinander bedroht. Der jüdische Bestsellerautor Meyer beklagt die neue Dimension der antisemitischen Klischees im Internet.

Davidstern / © Franziska Broich (KNA)
Davidstern / © Franziska Broich ( KNA )

Thomas Meyer ist säkular in Zürich aufgewachsen. Den jüdischen Glauben praktiziert er nicht. Als Sohn einer jüdischen Mutter begegnet der schweizerische Schriftsteller aber immer wieder einem alltäglichen Antisemitismus. Das seien dann nicht Menschen, die jüdische Friedhöfe schänden oder Juden mit Kippa ins Gesicht spucken, sondern die sich überhaupt nicht für Antisemiten halten.

"Diese Menschen schreiben den gewalttätigen Judenhassern ganz exklusiv Antisemitismus zu", sagt Meyer. "Dann werde ich lächelnd und sehr freundlich gefragt, wieso denn die Juden so gut mit Geld umgehen könnten. Diese Leute sind überzeugt, das könne gar nicht antisemitisch sein, denn sie kommen doch zu mir und führen ein freundliches Gespräch, also wie soll das denn antisemitisch sein?"

Antisemitismus ist familiär tradiert

Wenn Meyer dann antwortet, diese Klischees seien Nazipropaganda und judenfeindlich, dann seien die Menschen häufig beleidigt. Als Beispiel führt der Autor ein langes Gespräch mit einer älteren Dame an, die ihm die Wege des jüdischen Kapitals von der Ostküste Amerikas bis zum weißen Haus auseinanderlegte. Er habe dann immer wieder beharrlich nachgefragt und sei endlich auf die Ursprünge dieser Behauptungen gestoßen. "Es stellte sich dann heraus, dass ihre Eltern diese Dinge früher am Familientisch gesagt haben und sie schon als Kind diese Klischees übernommen habe". Häufig sei Antisemitismus familiär tradiert, meint der Autor.

Judenfeindlichkeit als Frustbewältigung

Judenfeindlichkeit sei eine bewährte Schublade, die Menschen aufziehen, die Frust haben, beobachtet Meyer. "Ein glücklicher Mensch kann kein Rassist oder Antisemit sein, das geht nicht, das schließt sich aus", ist Meyer überzeugt. "Wenn man frustriert und deprimiert ist, dann sucht man einen Verantwortlichen oder Leute, über die man sich ärgern kann. Da kommen dann eben die Juden ins Spiel, weil es sich historisch bewährt hat, sie zu dämonisieren".

Internet als Katalysator für Antisemitismus

Für den Autor sind die neuen Sozialen Medien ein Katalysator für Judenfeindlichkeit und Rassismus. Da habe er groteske Behauptungen gefunden, dass die Juden die Flüchtlingsströme organisieren, um Europa zu zerstören und das werde dann wütend und unreflektiert ins Netz gehauen. "Früher musste man die Schreibmaschine auspacken, ein Papier einspannen und einen Leserbrief schreiben, der vielleicht veröffentlicht wurde", sagt Meyer. "Heute kann ich auf zahllosen Webseiten zahllose Kommentare hinterlassen und das ist dann sofort publiziert".

Was geschrieben sei – schwarz auf weiß oder eben im Internet - bekomme durch den behaupteten Inhalt auch eine Realität, die Folgen für das gesellschaftliche Miteinander habe, sagt Meyer.

Politiker sollten einmal in der Öffentlichkeit Kippa tragen

Er wünsche sich mehr Zeichen und Symbole, die offen zeigen, dass die Zivilgesellschaft im Kampf gegen Antisemitismus solidarisch sei, auch wenn es zum Beispiel darum gehe, dass Juden keine Angst haben sollten, wenn sie in der Öffentlichkeit eine Kippa tragen.

"Offizielle Stellen sollten einmal ein Gebot herausgeben, dass alle einmal eine Kippa tragen sollten. Ich fände es schön, wenn alle Bundestagsmitglieder mal mit Kippa herumlaufen würden", schlägt Meyer vor. "Das wäre ein mögliches Statement und nicht die Warnung eines einzelnen Beauftragten, 'setzt die Kippa lieber ab, weil wir nicht mehr für eure Sicherheit garantieren können'. Das fand ich sehr schwach".

 

Thomas Meyer / © Lukas Lienhard / © Diogenes Verlag  (Diogenes)
Thomas Meyer / © Lukas Lienhard / © Diogenes Verlag ( Diogenes )

 

Juden sind vielfach antisemitischen Übergriffen ausgesetzt (dpa)
Juden sind vielfach antisemitischen Übergriffen ausgesetzt / ( dpa )
Quelle:
DR