Europas größtes jüdisches Viertel liegt heute in Paris

"Im 17. Arrondissement habe ich keine Angst"

Wer mehr über jüdisches Leben in Paris erfahren möchte, der wird von Reiseführern meistens in das Szeneviertel Marais geschickt. Tatsächlich leben mittlerweile viele Juden im 17. Arrondissement.

Autor/in:
Franziska Broich
 (DR)

Es sind kleine Details wie die Aufschrift "koscher" beim Metzger, die auf die jüdische Kultur im 17. Pariser Arrondissement hinweisen. Großbürgerliche Wohnhäuser mit verschnörkelten Fassaden werfen ihre Schatten auf die Boulevards. Eine Frau mit roten Pumps überquert die Straße. Nur aufmerksame Flanierer bemerken, dass Judentum in diesem Wohnviertel eine besondere Rolle spielt. Fast ein Viertel der Einwohner des Quartiers, 40.000 von 170.000, sind jüdisch.

Spuren von Angst

Antisemitische Vorfälle wie der Mord an der Jüdin Mireille K. im April haben Spuren hinterlassen. Die Juden in Frankreich haben Angst. Religion findet hinter verschlossenen Türen statt. Unauffällig bittet Rabbi Tom Cohen in seine Synagoge. Die Parkplätze davor sind durch große Metallgitter abgesperrt. An der Fassade deutet nichts auf die Synagoge im Keller hin. Nur eine kleine Aufschrift an der Tür verrät, dass dort die amerikanisch-französische Gemeinde Kehilat Gesher zuhause ist.

"Im 17. Arrondissement habe ich keine Angst", sagt Cohen. "Doch in bestimmten Pariser Quartiers trage ich bewusst keine Kippa", erzählt der 52-Jährige. Er lebt seit fast 25 Jahren im Viertel. Immer mehr Juden ziehen aus den Vororten und dem Pariser Osten ins 17. Arrondissement.

Bibel teilen mit den Katholiken

"Das Judentum gibt dem Viertel eine Farbe", sagt Cohen. Es gebe immer mehr koschere Supermärkte und Restaurants sowie Buchhandlungen, die jüdische Literatur und Gebetsbücher verkauften. "Kleine Synagogen im Keller von Wohnhäusern schießen aus dem Boden wie Pilze", so Cohen. Klein sind sie oft auch, weil der Wohnraum im Viertel teuer ist. "Seit Jahren suche ich größere Räume für unsere Gemeinde", klagt Cohen. Doch es sei fast unmöglich, etwas zu finden. "Für größere religiöse Feste gehen wir in die Kirche schwedischer Protestanten."

Auch mit der katholischen Gemeinde pflegt Cohen regelmäßige Kontakte. "Einmal im Monat lesen wir zusammen mit den Katholiken die Bibel und besprechen, wie wir zu den verschiedenen Interpretationen kommen." Mit den Muslimen gebe es noch kein gemeinsames Projekt. "Ich habe bereits angefragt, aber bislang hat sich noch nichts ergeben." Nicht weit von Cohens Synagoge in der Rue Jouffroy d'Abbans reihen sich koschere Restaurants an Bäckereien und Bistros. Garry Levy (36) begrüßt jeden Kunden mit Handschlag. Die Metzgerei "Berbeche" baute sein Großvater Ende der 50er Jahre auf. "Ich bin hinter der Fleischtheke aufgewachsen. Für mich war es nur logisch, das Geschäft zu übernehmen", sagt er. Levy baute die Metzgerei zum Restaurant aus.

Landschaft Isreals

Es ist bekannt für seine Burger - natürlich koscher. Es gibt nur wenige, die wie Levy offen über ihre Religion sprechen im 17. Arrondissement. Viele wollen nichts dazu sagen oder ihren Namen nicht preisgeben. "Die Medien schreiben immer komische Sachen über die Juden", sagt eine junge Frau.

Zehn Gehminuten nördlich bestimmen Bohrer und Hammer die Melodie des Stadtverkehrs. Dort wird das größte jüdische Kulturzentrum Europas gebaut, das "Centre du Judaisme Europeen". "Hier soll die Landschaft Israels entstehen", beschreibt Stephane Maupin die Idee hinter dem Projekt. Er ist neben dem Deutschen Felix Wetzstein und Bruno Flechet einer der drei Architekten des Projekts.

"Centre du Judaisme Europeen"

Vorsichtig balanciert der Architekt Maupin auf einem Brett über eine Pfütze. 4.900 Quadratmeter soll das Gebäude einmal umfassen. Die Eröffnung ist für Anfang 2019 geplant. Derzeit dominiert grauer Beton die Wände. "In der Mitte des Komplexes soll ein Garten entstehen", erklärt Maupin. Umrahmt wird der Garten von drei Türmen: einer für Büros der Organisation, einer mit einer Synagoge und ein dritter mit einer Bibliothek und einem Medienzentrum. Im Erdgeschoss ist ein riesiger Saal für Hochzeiten, Bar Mizwas und andere Feiern.

Insgesamt reicht das Gebäude über neun Etagen. Im Eckzimmer auf der obersten Etage wird der Oberrabbiner sein Büro haben - mit Blick auf den Eiffelturm. "Das ist ein besonderes Projekt für uns", sagt Architekt Maupin. Es solle ein Geschenk an die jüdische Weltgemeinschaft werden.


Quelle:
KNA