Auch Kölner Juden in Angst vor antisemitischen Übergriffen

"Extreme Beunruhigung bei der Gemeinde!"

Antisemitische Übergriffe in Berlin: Wie denken jüdische Bürger in Köln über den Vorfall? Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden und Vorstand der Kölner jüdischen Gemeinde, spricht von einem Dammbruch.

Synagoge in Köln (dpa)
Synagoge in Köln / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Im Moment wird viel über Antisemitismus gesprochen – ist der Angriff in Berlin eine neue Dimension oder geschieht nach Ihren Kenntnissen so etwas öfter?

Abraham Lehrer (Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und im Vorstand der Kölner jüdischen Gemeinde): Wir haben in den letzten Wochen und Monaten einen deutlichen Anstieg solcher Vorfälle zu verzeichnen.  Es ist, so glaube ich, eine Art Damm gebrochen. Menschen meinen jetzt, sie können heute ungestraft solche Dinge tun. Ich stelle fest, dass die Gesellschaft relativ schwach auf solche Vorfälle, auf all diese Anhäufung von solchen Vorfällen reagiert. Das ist etwas, was uns an für sich enttäuscht.

DOMRADIO.DE: Sie sind zurzeit in Berlin – sind die entsetzten Reaktionen aus Politik und Gesellschaft in Ihren Augen ausreichend oder müssten antisemitische Straftaten stärker verfolgt werden?

Lehrer: Ich glaube, dass es jetzt ganz wichtig ist, dass ein Prozess gegen den Täter relativ zügig zustande kommt, um ein möglichst abschreckendes Urteil zu verkünden. Jetzt gilt es, den Versuch zu unternehmen, diese Anhäufung von solchen antisemitischen Vorfällen entgegenzuwirken, um diesen Dammbruch wieder irgendwie zu stopfen.

DOMRADIO.DE: Wie sehen das Ihre Gemeindemitglieder in Köln – trauen sich die Männer noch mit Kippa auf die Straße?

Lehrer: Natürlich machen sich die religiösen Mitglieder der Kölner Gemeinde darüber Gedanken wenn sie die Synagoge in der Roonstraße verlassen, ob sie eine Kippa tragen sollten oder ob sie da eine Baseballkappe drüberziehen oder ob sie sie unter der Kapuze verschwinden lassen sollen. Manche praktizieren das so, andere sagen: Nein, ich bleibe dabei, ich trage meine Kippa ganz offen. Gestern Abend haben wir eine Veranstaltung in der Roonstraße gehabt und natürlich war der Vorfall aus Berlin das Thema. Die Beunruhigung der Gemeindemitglieder ist auf jeden Fall ganz extrem. Man stellt sich natürlich die Frage: Ist das nur ein Berliner Symptom oder wird es irgendwann auch nach Köln schwappen?

DOMRADIO.DE: Den Täter bestrafen ist das eine – aber wie kann man solche Gewalttaten in Zukunft verhindern? Mit mehr Wissen und Bildung?

Lehrer: Ich glaube, wir haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten  in der Erziehung unserer Jugendlichen, unserer Kinder, Fehler gemacht. Ich sage das nicht, um irgendjemand jetzt anzuklagen, ich schließe da die jüdische Gemeinschaft mit ein. Wir haben anscheinend nicht den richtigen Weg, den richtigen Ton, die richtige Methode gefunden, um vor solchen Rattenfängern zu warnen oder vor solchen Menschen, die Antisemitismus verstreuen und die dann auch dafür verantwortlich sind, dass junge Menschen so völlig ausrasten wie jetzt in Berlin.

DOMRADIO.DE: Angst um ihre Sicherheit haben auch Juden in anderen europäischen Staaten. Wie kann es sein, dass sich jüdische Mitbürger bei uns und anderswo nicht mehr sicher fühlen? Was ist schiefgelaufen?

Lehrer: Wie gesagt, wir haben etwas bei der Erziehung unserer jungen Menschen nicht richtig gemacht, sonst würde es nicht diese Anhäufung solcher Vorfälle geben. Andere europäische Staaten haben einen etwas anderen Hintergrund, die haben nicht diese besondere Geschichte wie wir hier in Deutschland mit der Nazizeit. Wir müssen bei uns dafür sorgen, dass die Mitglieder der jüdischen Gemeinden sich sicher fühlen und nicht darüber nachdenken müssen, ob sie ihr Land verlassen, ob sie ihre Kippa verstecken müssen oder ob sie mit ihren Kindern noch weiterhin zum Gottesdienst kommen wollen.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Abraham Lehrer (dpa)
Abraham Lehrer / ( dpa )
Quelle:
DR