Begegnungsreisen von jungen Juden nach Deutschland

Jubiläum eines vielfältigen Programms

Seit zehn Jahren ermöglicht das deutsch-amerikanisch-jüdische Begegnungsprogramm "Germany Close Up" jungen nordamerikanischen Jüdinnen und Juden eine Reise nach Deutschland. So lernen sie das Land mit eigenen Augen kennen.

Juden zu Besuch in Deutschland / © Maja Hitij (dpa)
Juden zu Besuch in Deutschland / © Maja Hitij ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Reisen dienen dazu, das moderne Deutschland kennenzulernen. Es gibt das Klischee, dass Amerikaner nicht viel über Europa, und damit auch Deutschland, wissen. Wie erleben Sie das?

Dagmar Pruin (Geschäftsführerin von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V.): Bei Klischees ist immer die Frage, wie viel Wahrheit in ihnen steckt. Ich glaube, wenn man einen 16-Jährigen in Deutschland umgekehrt fragt, was er genau über Amerika weiß, fällt ihm vielleicht auch nicht besonders viel ein. Das Besondere bei unseren Gästen ist, dass sie Jüdinnen und Juden sind – wie immer sie es selbst definieren. Sie haben natürlich durch die Vergangenheit – durch die Schoah – Wissen und Kenntnisse von Deutschland.

Mehr als 70 Prozent unserer mehr als 2.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die wir bisher hatten, kommen aus Familien, die tatsächlich einen eigenen familienbiographischen Bezug zur Schoah haben. Es muss nicht ursprünglich Deutschland gewesen sein, es kann auch Polen gewesen sein. Aber oft sind es Wurzeln in Deutschland. Sie wissen natürlich etwas über das Land und haben bestimmte Bilder im Kopf. Häufig sind es aber bestimmte Ausschnitte aus der Geschichte.

Mir fällt auf, dass unsere Teilnehmenden bei der Begrüßung sagen: "Ach, ich habe gar nicht erwartet, dass es hier bunt ist. In meinem Kopf ist alles schwarz und weiß." Das gibt einen Hinweis auf das Bild, das sie mitbringen, und ihre Kenntnisse.

DOMRADIO.DE: Dabei geht es um die Vergangenheit Deutschlands – Wie sieht es denn mit der Gegenwart aus? Antisemitismus und Rassismus sind nach wie vor aktuelle Themen bei uns im Land. Wie geht man damit um?

Pruin: Der Antisemitismus ist ja nichts, was verschwindet. Wenn wir uns die letzten Monate und Jahre angucken, können wir nicht sagen, dass die Situation besser geworden sei. Diese Dinge spielen eine wichtige Rolle in unserem Programm. Was wir mit "Germany Close Up" nicht machen wollen, ist, ein wunderbar frisches, funkelndes Deutschland zu präsentieren, sondern wir wollen Deutschland zeigen, so wie es heute ist.

Dadurch sprechen wir natürlich auch über Antisemitismus, begegnen uns aber in diesen Diskussionen. Wir haben verschiedene Panels mit Menschen, die darüber sprechen. Wir haben Betroffene, die über das Thema Antisemitismus reden. Wir diskutieren gemeinsam, wie unsere Gäste die Situation hier wahrnehmen, aber auch, was sie uns sagen können und was wir in dem Bereich voneinander lernen können.

DOMRADIO.DE: Welche Orte besuchen Sie? Was zeigen Sie?

Pruin: Irgendwie ist alles möglich im "Germany Close Up"-Programm. Unsere Basis ist Berlin, wo wir mit einer Stadtrundfahrt beginnen. Am zweiten Tag sind wir dann im ehemaligen Konzentrationslager in Sachsenhausen. Danach diskutieren wir, weil wir einmal in die Tiefe dieser Diskussion hineingehen wollen, um einen verlässlichen Boden für uns alle zu haben. In den nächsten Tagen kommt es dann darauf an, welche Gruppe wir vor uns haben.

Mit jungen Rabbinern bleibe ich zum Beispiel gar nicht so lange in Berlin, sondern wir gehen auch noch nach Worms und nach Speyer, wo ein wichtiger Punkt vom jüdischen Leben im Mittelalter war. Es gibt aber auch ein Programm über grüne Energie, dann gehen wir an bestimmte andere Orte in Deutschland. Wir haben ein Programm gemacht für die Berliner Filmfestspiele – dann bleiben wir in Berlin. Oder wir gehen beispielsweise nach München und gehen zu den Passionsfestspielen – Thema Antisemitismus – in Oberammergau, dann gehen wir tief in die Bayerischen Alpen.

Das Interview führte Verena Tröster.

 

Quelle:
DR
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