Graumann zum Jahrestag der Pogromnacht

Kein Judentum in Hinterzimmern

Bei der traditionellen Gedenkstunde zur Pogromnacht vor mehr als 70 Jahren in der Frankfurter Paulskirche hat der Präsident des Zentralrates der Juden, Dieter Graumann, den Streit um die Beschneidung in Deutschland kritisiert. Hier seine Rede zum Nachlesen. Wegen der Sabbatfeier am Freitagabend war die Gedenkstunde zum 9. November um einen Tag vorverlegt worden.

 (DR)

Hässliche Nebengeräusche, schroffe Belehrungen, Bevormundungen und rüde Respektlosigkeiten hätten die Debatte bestimmt, sagte Graumann am Donnerstag. Darüber hinaus verurteilte Graumann die jüngsten antisemitischen Übergriffe scharf. Die Judenfeindschaft bleibe immer und ausnahmslos "Menschenfeindlichkeit pur und absolut unentschuldbar", sagte er. Ende August war in Berlin ein Rabbiner krankenhausreif geschlagen worden.



Er bezeichnete es als himmelschreienden Skandal, "dass heutzutage das Wort "Jude" auf deutschen Schulhöfen als Schimpfwort benutzt wird". Dies sei eine brennende Wunde, die alle Menschen im Land eigentlich in Aufruhr versetzen müsse.



Keine Verbannung ins "Ghetto der Verunsicherung"

Demgegenüber betonte Graumann: "Wir Juden lassen uns nicht einschüchtern." Ein Judentum in Hinterzimmern werde es in Deutschland nicht geben. "Wer meint, wir ließen uns ins Ghetto der Verunsicherung verbannen, der irrt, wie er nur irren kann." Der Zentralratspräsident warnte die Juden in Deutschland vor Resignation, Frustration, Bitterkeit und Selbstaufgabe. "Wir wollen dem Judentum hier eine neue, frische und positive Perspektive verschaffen, die noch weit in die Zukunft reichen soll."



Dem Literaturnobelpreisträger Günter Grass, der im April wegen eines israelkritischen Gedichts für Aufsehen sorgte, warf Graumann unterdessen vor, Hass und Hetze gegen den jüdischen Staat zu betreiben. Das Dokument sei ein "Versatzstück voller Verdrehungen und Verbogenheiten" und verharmlose das Regime in Teheran. "Israel wurde hier ganz wissentlich sozusagen aussortiert, singularisiert, gebrandmarkt als alleiniger Haupt-Störenfried der ganzen Welt." In dem Gedicht "Was gesagt werden muss" hatte Grass den Atomkonflikt mit dem Iran thematisiert.



Mit Blick auf den 9. November 1938 sprach sich Graumann dagegen aus, von einer Kollektivschuld der Deutschen zu sprechen. Eine derartige Kollektivschuld "gab und gibt es niemals", sagte er. "Wohl aber gab es massenweise individuelle Schuld unter den Deutschen jener Zeit." Viele einzelne Menschen in Deutschland hätten in der NS-Zeit viel an individueller Schuld auf sich geladen.



  "Nichts, gar nichts gibt es jemals daran zu beschönigen und zu verharmlosen", fügte Graumann an. "Der 9. November 1938 war eine Detonation von Sadismus, von Vandalismus, von Mordlust und von Menschenfeindlichkeit."


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