Die Debatte um Beschneidungen hält an

"Kirchen an der Seite der Juden"

Die Diskussion um Beschneidungen reißt nicht ab. Nicht nachvollziehen kann das Ricklef Münnich, der sich im christlich-jüdischen Dialog engagiert. Den Vorwurf eines "Religionskrieges" des einzigen jüdischen Mitglieds im Ethikrat, Leo Latasch, findet er falsch. Im Interview mit domradio.de spricht der Theologe dagegen von einer "Front gegen die Religionen".

Religiös motivierte Beschneidung: Religionsfreiheit vor Recht auf Unversehrtheit? (dapd)
Religiös motivierte Beschneidung: Religionsfreiheit vor Recht auf Unversehrtheit? / ( dapd )

domradio.de: Leo Latasch spricht von einem "Religionskrieg", wie sehen Sie das aus dem Blickwinkel des christlich-jüdischen Dialogs?

Münnich: Im Grunde hat er Recht, bis auf einen Punkt: Er übersieht, dass wir in Deutschland nicht mehr einen christlichen Staat haben, wir sind in einem säkularen Staat. Und das Christentum steht an der Seite des Judentums in der Beschneidungsdebatte. Hier gibt es eine Front gegen die Religionen.



domradio.de: Eine Front?

Münnich: Es wird häufig übersehen, dass das Kölner Landgericht auch gesagt hat, die Veränderung des Körpers läuft dem Interesse des Kindes zuwider, später selber über seine Religionszughörigkeit entscheiden zu können. Hier sind die Kirchen genauso angegriffen wie das Judentum. Wir haben die Kindertaufe, bei der wir die Kinder auch nicht fragen. Und Beschneidung und Taufe verbindet: Beide sind nicht zurücknehmbar, auch die Taufe ist unwiderruflich. Man kann später aus der Kirche austreten, aber getauft ist getauft.



domradio.de: Nun führt ausgerechnet Deutschland die Debatte, wo nun ein Gesetz entscheiden wird...

Münnich: Eine peinliche Debatte ist das, gerade mit Blick auf die Völker der ganzen Erde. Gerade in Deutschland soll die Beschneidung verboten werden. Zwischen 1940 und 1945 wurden eine Million Kinder von Deutschen oder unter ihrer Mithilfe ermordet. Und jetzt dreht man das um und macht die "Opfer zu Tätern", jetzt werden jüdische und muslimische Eltern angegriffen, sie würden ihre eigenen Kinder verstümmeln. Damit arbeitet man sich in Deutschland an der eigenen Vergangenheit ab. Anders kann ich mir das Ausmaß der Diskussion nicht erklären.



domradio.de: Ihnen gefällt die Debatte also insgesamt nicht?

Münnich: Wie dieses Nebenthema der Beschneidung nun schon seit einem Viertel Jahr die öffentliche Debatte ausfüllt, ist nicht nachzuvollziehen. Wurde schon mal in ähnlicher Weise über körperbezogene Entscheidungen der Eltern für ihre Kinder gesprochen? Bei Schönheitsoperationen? Bei dem schweren Thema der Geschlechtszuweisung bei Intersexualität? Das sind viel tiefer greifende Themen, die aber niemanden stören. Es geht bei diesem vergleichsweise kleinen Eingriff um tiefe Dimensionen, bei denen inzwischen durchaus Judenfeindschaft und Antisemitismus eine große Rolle spielen. Schon deswegen haben die Kirchen hier an der Seite der Juden in Deutschland zu stehen. Hier geht es um jüdische Existenz in Deutschland. Nicht mehr und nicht weniger.



domradio.de: Wie bewerten Sie das Eckpunktepapier?

Münnich: Das Papier ist in Ordnung. Es wird deutlich gesagt, dass nach den Regeln der ärztlichen Kunst beschnitten werden muss - was schon seit vielen Jahrhunderten geschieht.



Zur Person: Der evangelische Theologe Ricklef Münnich ist Mitglied im Präsidium des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR).



Das Gespräch führte Monika Weiß.

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