Hunderte Demonstranten fordern Rechtssicherheit bei der Beschneidung

Gemeinsam für Religionsfreiheit

Rund 300 Demonstranten haben am Sonntag in Berlin mehr Rechtssicherheit für die religiöse Beschneidung von Jungen verlangt. "Das Ja zur Beschneidung muss in ein Gesetz gegossen werden", forderte Lala Süßkind, die ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin. An der Demonstration nahmen hauptsächlich Juden, aber auch Muslime und Christen teil.

Autor/in:
Martin Pfaffenzeller
 (DR)

Die Kundgebung auf dem Bebelplatz stand unter dem Motto "Für Religionsfreiheit, gegen Kriminalisierung und Bevormundung".



Hintergrund der Demonstration war ein im Juni veröffentlichtes Urteil des Kölner Landesgerichtes, das die Beschneidung von Jungen als strafbare Körperverletzung gewertet hatte. Daraufhin war eine politische Debatte entbrannt.



Süßkind nannte es "unerträglich, dass sich immer wieder inkompetente und intolerante Menschen zu Wort gemeldet haben und dabei eine so große Resonanz gefunden haben". Sie verwies zudem auf die "identitätsstiftende Bedeutung" des Rituals für jüdische und muslimische Jungen. Außerdem sei der Eingriff medizinisch weltweit akzeptiert und von der Gesundheitsorganisation WHO empfohlen.



Unter optimalen hygienische Bedingungen

Kenan Kolat, der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland sagte: "Niemand wird die Beschneidung in Deutschland stoppen können." Außerdem werde das Ritual unter optimalen hygienischen Bedingungen und nicht in irgendwelchen Hinterzimmern durchgeführt. Die Vorwürfe der Beschneidungsgegner zeigten die Vorurteile einiger Deutscher sowie den schwelenden Antisemitismus und Antiislamismus, ergänzte Kolat.



Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) hatte am Mittwoch eine Übergangsregelung vorgestellt, mit der in der Hauptstadt ab sofort die Beschneidung, wenn auch unter strengen Voraussetzungen, straffrei ist. Süßkind bezeichnete diese Zwischenregelung als "gut gemeint, aber ungenügend". Es sei problematisch, dass die Eltern die religiöse Motivation nachweisen müssten. Süßkind sagte, sie wolle sich weder durch ein großes J auf der Brust noch durch den zweiten Vornamen Sarah als Jüdin ausgeben müssen.



Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) erklärte, in der Debatte um Beschneidungen gehe es um zwei Grundfragen: "Wollen wir das Kindeswohl nur medizinisch oder auch geistig-geistlich definieren?", fragte der Bundestagsvizepräsident, der auch Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist. "Und soll es üblich werden, dass der Staat definiert, was zur Praxis einer Religion gehört?" Thierse versprach, sich für eine zügige gesetzliche Regelung der Beschneidungen einzusetzen.



Die Bundesregierung will bald ein Gesetz vorlegen, das Klarheit bei der religiösen Beschneidung schafft. "Die entstandene Rechtsunsicherheit wird durch eine bundesgesetzliche Regelung schnell beseitigt werden", versprach Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am Donnerstag Juden und Muslimen.



Die Kinder- und Jugendärzte wollen dennoch keine religiös begründeten Beschneidungen vornehmen. Alle pädiatrischen Fachgesellschaften in Deutschland seien sich darin einig, "dass das Selbstbestimmungsrecht des Kindes und das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit einen höheren Stellenwert haben als das Recht der Eltern, aufgrund religiöser Überzeugungen diese körperliche Unversehrtheit zu beeinträchtigen", sagte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Wolfram Hartmann, am Samstag im Inforadio des Rundfunks Berlin Brandenburg (rbb). Der Verband werde sich an einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligen, falls der Bundestag die Beschneidung von minderjährigen Jungen gesetzlich zulasse.



"Wir machen weiter"

Der Berliner Rabbiner Yitzchak Ehrenberg berichtete auf der Kundgebung davon, dass ihm vor zwei Wochen eine Strafanzeige zugestellt worden sei. "Wir machen weiter", versicherte er. Die Ankündigung von Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU), dass Ärzte, die Jungen beschneiden, keine Strafverfolgung fürchten müssten, nannte er im "Resultat leider unglücklich". Der Justizsenator solle die Entscheidung zurücknehmen und auf eine bundesgesetzliche Regelung warten.