Der Angriff auf einen Rabbiner in Berlin sorgt weiter für Empörung

"An einem Scheideweg"

Die Empörung über den brutalen Angriff auf einen Rabbiner in Berlin hält an. Der Zentralrat der Juden forderte ein härteres Durchgreifen der Justiz. Die Europäische Rabbinerkonferenz sieht die jüdische Gemeinschaft in Deutschland an einem Scheideweg.

 (DR)

Antisemitische Übergriffe seien "keine Lausbubenstreiche", sondern Gewaltakte, die Verletzte und traumatisierte Opfer zurückließen, sagte der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan J. Kramer, der "Passauer Neuen Presse" (Freitag). Deshalb müssten Strafen schneller ausgesprochen und vollstreckt werden. Kramer betonte, die Juden würden sich nicht "vor diesem antisemitischen Terror auf deutschen Straßen" beugen, "egal, ob es radikale Muslime oder Neonazis sind, die uns und damit die Gesellschaft bedrohen". Es sei Aufgabe von Sicherheitsbehörden und Gesellschaft, sich dem Terror entgegenzustellen und nicht zurückzuweichen.



Der 53-jährige jüdische Geistliche Daniel Alter war am Dienstagabend vor den Augen seiner Tochter von vier jungen Männern in Schöneberg attackiert, mit antisemitischen Äußerungen beleidigt und geschlagen worden. Polizeiangaben zufolge handelt es sich bei den Tätern, die anschließend flohen, vermutlich um arabischstämmige Jugendliche. Der Rabbiner erlitt einen Jochbeinbruch und musste am Donnerstag operiert werden.



Alter will sich weiterhin für den interreligiösen Dialog einsetzen. "In meinen Grundfesten bin ich nicht erschüttert", sagte der Rabbiner der "Berliner Morgenpost" (Freitag). Ein dumpfer Schläger werde ihn nicht von seinem Weg abbringen. "Viele Menschen äußern ihre Anteilnahme, wünschen mir gute Besserung und sagen mir, wie sehr sie diese Tat verurteilen", so der Geistliche.



Europäische Rabbiner: Juden in Deutschland am Scheideweg

Beschneidungen und der jüngste Angriff auf einen Rabbiner in Berlin seien "im Kontext eines wachsenden Grades von Unsicherheit und Antisemitismus in Deutschland" zu sehen, erklärte der Vorsitzende der Europäischen Konferenz, Pinchas Goldschmidt, am Freitag.



Es werde immer deutlicher, "dass in Deutschland ein Kampf ausgefochten wird zwischen denen, die Freiheit und Toleranz wirklich achten, und denen, die gerne ein Ende der deutschen jüdischen Gemeinschaft sehen wollen", sagte Goldschmidt. Der Konferenzvorsitzende begrüßte zwar den Rückhalt durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Auf der anderen Seite seien die Juden aber konfrontiert "mit engstirnigen humanistischen Aktivisten und gewalttätigen Schlägern".



"Wir haben Deutschland für die Entwicklung der vergangenen 65 Jahre gelobt, aber jetzt steht das Land erneut auf dem Prüfstand, und die Welt wird die Reaktion genau beobachten", sagte Goldschmidt. Die Bundesregierung müsse unverzüglich klarstellen, dass öffentliche Bekenntnisse zu Freiheit und Toleranz nicht nur "abgedroschene Plattitüden" seien, sondern zu deutschen Werten und Prioritäten gehörten.



Auch ZdK verurteilt Tat

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU) rief nach der Tat zu mehr Zivilcourage auf. Jeder Einzelne müsse aufstehen, "wenn Menschen aus welchen Gründen auch immer bedroht oder ausgegrenzt werden", sagte sie der "Rheinischen Post". Auch seien Polizei und Staatsanwaltschaft jetzt gefordert, die Angreifer schnellstmöglich ausfindig zu machen und festzunehmen.



Der Islamverband DITIB in Köln verurteilte die Tat als "feige" und sicherte Solidarität zu. "Allen, die Hass und Feindschaft im Herzen tragen, Allen, die diesen Angriff verharmlosen oder in ihrem blinden Hass der betroffenen Familie ihr Mitgefühl verweigern, treten wir entgegen", hieß es in einer Erklärung. Die Abstammung und religiöse Orientierung der Täter spielten keine Rolle für diese Beurteilung. Die Muslime teilten mit den Juden "eine gemeinsame Offenbarungsgeschichte und viele religiöse Traditionen".



Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zeigte sich bestürzt über den Angriff auf Alter. "Als langjähriges Mitglied unseres Gesprächskreises "Juden und Christen" haben wir ihn als einen Mann der Versöhnung und des Brückenbauens zwischen Juden und Christen, Juden und anderen Bürgern in Deutschland schätzen gelernt", erklärte ZdK-Präsident Alois Glück in Bonn. Als Christen und als Deutsche trügen hiesige Katholiken "eine einzigartige Verantwortung dafür, dass Juden in Würde und Sicherheit in unserem Land leben und wirken können".



Derweil sieht die Europäische Rabbinerkonferenz die Juden in Deutschland an einem Scheideweg. Die Kritik von "engstirnigen humanistischen Aktivisten" an der Beschneidung und die Schlägerattacke in Berlin seien "im Kontext eines wachsenden Grades von Unsicherheit und Antisemitismus in Deutschland" zu sehen, erklärte der Vorsitzende der Konferenz, Pinchas Goldschmidt in Brüssel. Deutschland stehe auf dem Prüfstand.