Grass-Gedicht sorgt für heftige Empörung

Sprengkraft der Worte

Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat in einem neuen Gedicht zum Atomkonflikt mit dem Iran den Staat Israel attackiert. Schon kurz nach der Veröffentlichung entfacht das lyrische Werk eine Antisemitismus-Debatte. Schockiert zeigt sich der Zentralrat der Juden. Kirchenvertreter verurteilen zudem das Erscheinungsdatum. Die Karwoche bleibe für Christen eine Zeit für Einsicht in die eigene Schuld.

 (DR)

Die Karwoche bleibe für Christen "eine Zeit für Einsicht in die eigene Schuld. Auch eine Einsicht in die Schuld gegenüber den jüdischen Glaubensgeschwistern", meinte der Hannoveraner Landesbischof Ralf Meister. Der Aufruf von Grass "zum Aussprechen der Wahrheit in poetischer Form geht an der Sache vorbei".



"Was gesagt werden muss"

Das Gedicht von Günter Grass trägt den Titel "Was gesagt werden muss". Zu lesen ist es in den jeweiligen Mittwoch-Ausgaben der "Süddeutschen Zeitung", der "New York Times" und von "La Repubblica". In einer Passage des Gedichtes heißt es zu Israel: "Doch warum untersage ich mir, jenes andere Land beim Namen zu nennen, in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten - ein wachsend nukleares Potential verfügbar aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung zugänglich ist?"



Grass stellt in dem Gedicht zudem infrage, ob Iran tatsächlich über eine Atombombe verfügt. Es sei das "behauptete Recht auf Erstschlag, der das von einem Maulhelden unterjochte und zum organisierten Jubel gelenkte iranische Volk auslöschen könnte, weil in dessen Machtbereich der Bau einer Atombombe vermutet wird", heißt es wörtlich. In diesem Zusammenhang kritisiert der Literat auch die deutsche Haltung zu Israel: "Mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert" solle ein weiteres U-Boot nach Israel geliefert werden, "dessen Spezialität darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe dorthin lenken zu können, wo die Existenz einer einzigen Atombombe unbewiesen ist".



Publizist Broder nennt Grass Antisemiten

Die israelische Botschaft in Berlin wies die Vorwürfe des Literaturnobelpreisträgers zurück: Es gehöre zur europäischen Tradition, die Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmords anzuklagen, heißt es in einer Erklärung des Gesandten Emmanuel Nahshon. Israel sei der einzige Staat auf der Welt, dessen Existenzrecht öffentlich angezweifelt werde. Die Israelis wollten jedoch in Frieden mit den Nachbarn in der Region leben. Sein Land sei "nicht bereit, die Rolle zu übernehmen, die Günter Grass uns bei der Vergangenheitsbewältigung des deutschen Volkes zuweist", betonte Nahshon.



Publizist Henryk M. Broder nannte den Schriftsteller in einem Beitrag für die Tageszeitung "Die Welt" einen "Prototyp des gebildeten Antisemiten". "Damit im Nahen Osten endlich Frieden einkehrt und auch Günter Grass seinen Seelenfrieden findet, soll Israel ,Geschichte werden". So sagt es der iranische Präsident, und davon träumt auch der Dichter beim Häuten der Zwiebel", schrieb Broder. Grass habe schon immer ein "Problem" mit Juden gehabt, "aber so deutlich wie in diesem ,Gedicht" hat er es noch nie artikuliert".



Beim Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, ist das Gedicht auf Empörung gestoßen. "Ich bin schockiert", sagte Graumann am Mittwoch in Frankfurt am Main. Er könne in dem Beitrag des Nobelpreisträgers kein literarisches Gedicht, sondern "mehr ein Hasspamphlet" erkennen.



"Grass redet Blech und trommelt in die falsche Richtung"

Wenn es wirklich als Vermächtnis gemeint sei, so handele es sich um ein "Vermächtnis von Verdrehungen und Verirrungen", fügte Graumann hinzu. Grass schiebe Israel die Verantwortung für eine Gefährdung des Weltfriedens zu. Das zeige, "dass ein herausragender Autor noch längst kein herausragender politische Experte ist", fuhr der oberste Repräsentant der rund 108.000 Juden in Deutschland hinzu. Dies habe Grass "diesmal auf miserable Weise unter Beweis gestellt".



In Anspielung auf den Roman des Schriftstellers" Die Blechtrommel" sagte Graumann wörtlich: "Grass redet Blech und trommelt in die falsche Richtung."



Die politische Debatte erreichte auch den Bundestag. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), distanzierte sich klar von dem jüngsten Werk des Schriftstellers. "Das Gedicht gefällt mir nicht", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung" (Donnerstagausgabe). Günther Grass sei zwar ein großer Schriftsteller. "Aber immer wenn er sich zur Politik äußert, hat er Schwierigkeiten und liegt meist daneben", sagte Polenz. Der CDU-Politiker kritisierte, die einseitige Schuldzuweisung an Israel sei falsch. "Das Land, das uns Sorgen bereitet, ist der Iran. Davon lenkt sein Gedicht ab." Grass verwechsle Ursache und Wirkung. "Er stellt die Dinge auf den Kopf", sagte Polenz.



Bundesregierung reagiert gelassen auf Debatte

Die Bundesregierung reagierte demonstrativ gelassen auf das umstrittene Gedicht. "Es gilt in Deutschland die Freiheit der Kunst und es gilt glücklicherweise auch die Freiheit der Bundesregierung, sich nicht zu jeder künstlerischen Hervorbringung äußern zu müssen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, ihm seien von israelischer Seite noch keine offiziellen Reaktionen auf den Beitrag des Schriftstellers bekannt.