Die Frauendiskriminerung ultraorthodoxer Juden in Israel

Fromme Geschlechtertrennung

Im israelischen Beit Schemesch im Distrikt Jerusalem ist es zu Zusammenstößen zwischen ultraorthodoxen Juden und der Polizei gekommen. Die Demonstranten forderten laut israelischen Medienberichten vom Dienstag unter anderem eine strikte Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben. Der Streit schwelt seit längerem.

 (DR)

Mehrere hundert Ultraorthodoxe hätten sich gewaltsame Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften geliefert; mindestens sechs Personen wurden verhaftet. Für Dienstagabend ist eine Gegendemonstration angekündigt. Erwartet werden bis zu 10.000 Demonstranten. Die Kundgebung richte sich gegen die Ausgrenzung von Frauen durch ultraorthodoxe Juden sowie Gewalt gegen Frauen. Wie die Internetzeitung "Ynet-News" berichtet, forderten Vertreter verschiedener Parteien das israelische Großrabbinat in einem offenen Brief auf, den Ausschluss von Frauen zu verurteilen.



Auslöser für die Krawalle waren laut den Medien Dreharbeiten eines Kamerateams des israelischen Senders "Channel 2" über ultraorthodoxe Mobbing-Angriffe auf eine angeblich unzüchtig gekleidete Schülerin. Bereits am Sonntag hatten ultraorthodoxe Juden ein Filmteam bedrängt. Dieses habe Schilder gefilmt, die Frauen aufforderten, nicht vor einer Synagoge stehenzubleiben. Stadtverwaltung und Polizei kündigten an, im Kampf gegen extremistische Übergriffe auf Frauen und Kinder bis zu 400 Sicherheitskameras zu installieren.



Religiöse Führer der Ultraorthodoxen von Beit Schemesch verurteilten die Gewalt in einer offiziellen Stellungnahme. Zugleich machten sie die Medien für die gegenwärtige Eskalation verantwortlich. Marginale Handlungen Einzelner würden als Handlungen der gesamten Haredi-Bevölkerung der Stadt präsentiert.



Einfluss der Ultraorthodoxen nimmt immer mehr zu

Nicht von der Hand zu weisen ist aber: Der Einfluss der Ultraorthodoxen nimmt immer mehr zu. Mit Linienbussen in Jerusalem fing es an. Frauen sollten auf die hinteren Bänke, um orthodoxe Juden nicht auf unkeusche Gedanken zu bringen. Vor dem frommen Judentum kapituliert nun sogar die Armee: Ein Maßnahmenkatalog für mehr Gleichberechtigung wurde auf Eis gelegt. Bereits vor vier Jahren hatte die Armee-interne Segew-Kommission die schrittweise Eingliederung der Frauen in traditionelle Männerpositionen empfohlen. Die neuen Rechte sollten einhergehen mit angepassten Wehrpflichtzeiten. Nun machte frommer Druck der ohnehin schleppenden Umsetzung der Empfehlungen, die die Kommission des Reserve-Generals Jehuda Segew erarbeitet hatte, ein vorläufiges Ende.



Die ultraorthodoxen Rabbiner fürchten die Vermischung von Mann und Frau in Uniform, verbieten gemeinsame Feierlichkeiten und gar den Auftritt von Sängerinnen vor religiösen Soldaten. "Aus der Armee des Volkes wird eine Armee der Rabbiner", schrieb die liberale Tageszeitung "Haaretz" und warnte vor der "Kapitulation" vor den extrem-religiösen Rabbinern.



Schauplatz für den religiösen Vormarsch und den Widerstand dagegen ist vor allem Jerusalem. Jetzt erst recht, sagten sich Anfang Dezember einige Hundert Feministinnen. Sie zogen auf Jerusalems neue "Brücke der Saiten", um genau das zu tun, was ultraorthodoxe Juden bei Frauen am meisten fürchten: Sie sangen.



Bedrohliche Situation

Auch der liberale Rabbiner Uri Ayalon, selbst Vater zweier Töchter, weigert sich, "in einem Staat zu leben, wo Frauen nicht singen dürfen". Dass überhaupt eine Debatte über das Für und Wider öffentlicher Auftritte von Frauen geführt werde, zeige, "in welcher bedrohlichen Situation wir uns heute schon befinden".



Das größte Problem sieht der 41-Jährige indes nicht beim Streit um den weiblichen Gesang, sondern "bei der Zensur in der Werbung". Nicht nur, dass weibliche Fotomodelle auf den Werbeplakaten in Jerusalem häufig züchtiger gekleidet sein müssen als an Tel Aviver Reklamewänden. Es gibt sie schlicht immer weniger. "Die Nichtexistenz der Frau wirkt auf das Unterbewusstsein", warnt Ayalon. Für eine Gleichberechtigung der Geschlechter müsse die Frau zuallererst einmal präsent sein.



Dafür wollte Ayalons Gruppe "Jeruschalmim" ("Jerusalemer) mit einer Plakataktion sorgen: Ein Motiv zeigt eine Mutter mit zwei Töchtern, ein anderes zwei junge Frauen im Gespräch. In der ersten Stufe hängten Mitglieder der "Jeruschalmim" die Plakate an Fenster und Balkonen auf, später kauften sie öffentliche Werbeflächen für weitere 140 Plakate, was kaum zu Negativreaktionen führte. Die Aktion sei "überraschend friedlich" gewesen. sagt Ayalon. Ganze fünf Plakate fielen dem Zorn pikierter Orthodoxer zum Opfer.



Eine kleine, extrem ideologische Gruppe

Doch ganz so reibungslos geht der Widerstand gegen die Strengreligösen nicht immer vonstatten. Die ehemalige Stadtverordnete Rachel Azaria verlor ihren Posten, nachdem sie gegen die Geschlechtertrennung auf den Bürgersteigen von Mea Shearim vor Gericht zog. Es ginge nicht an, dass "eine kleine, extrem ideologische Gruppe den Ton angibt", schimpft sie. Schließlich seien die öffentlichen Räume für alle da.



Wie der liberale Rabbiner Ayalon ist Azaria selbst praktizierende Jüdin. "Die führenden Kräfte in unserem Kampf sind religiöse Frauen", sagt sie, denn "wir sind am stärksten bedroht". Die Geschlechtertrennung sei nach den ursprünglichen Regeln in der Synagoge und beim Baden vorgesehen, "alles andere ist ganz neu". Nirgends in der Bibel stehe geschrieben, dass es in der Öffentlichkeit keine Bilder von Frauen geben darf.



Immerhin trug Azaria vor Gericht einen Sieg davon. Die Richter beauftragten die Polizei, die Angelegenheit bis Mitte kommenden Jahres zu regeln. Geschlechtertrennung in öffentlichen Räumen sei nicht rechtens, hieß es zur Begründung.



Der Oberste Gerichtshof hatte schon einmal in Sachen Geschlechtertrennung geurteilt. Im vergangenen Sommer drehte sich der Prozess um den Nahverkehr. Eine Sitzordnung für Männer und Frauen in Linienbussen sei nicht rechtens, entschieden die Richter. Jedem solle es selbst überlassen bleiben, so schränkten sie indes ein, ob er oder sie eine Geschlechtertrennung im öffentlichen Verkehr praktizieren will oder nicht.



"Hätten sie wenigstens die Sitzordnung verändert", kommentierte der ehemalige Erziehungsminister Jossi Sarid den Richterspruch. Wenn schon Geschlechtertrennung im Bus, dann sollten die Frauen vorne Sitzen, findet Sarid.