Türkei erstattet enteigneten Kirchenbesitz zurück

Ein Schritt zu mehr Religionsfreiheit

Noch nie haben sich die Spitzenvertreter von Christen und Juden in der Türkei mit einer Regierung in Ankara so wohlgefühlt. Ausgerechnet der von seinen Gegnern als Islamist beschimpfte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat per Erlass die Rückgabe von mehreren hundert Immobilien an Stiftungen von Christen und Juden verfügt.

Autor/in:
Bettina Dittenberger
 (DR)

Patriarchen und Rabbiner freuen sich und sprechen von einer "Revolution". Erdogan selbst begründete den Schritt mit der rechtlichen Gleichstellung aller Bürger der Türkei. Für Ankara bringt die Entscheidung auch politische und finanzielle Vorteile.



Bei dem am Samstag im Staatsanzeiger veröffentlichten Erlass geht es um die sogenannte Erklärung von 1936. Damals mussten die nicht-muslimischen Stiftungen ihren Besitz auflisten. Einige dieser mehreren tausend Immobilien wurden in den Jahren und Jahrzehnten danach vom Staat eingezogen und teils verkauft. Erdogans Stiftungsgesetz von 2008 regelt zwar die Rückgabe, doch gab es dabei bisher erhebliche bürokratische Probleme. Zudem protestierte die linksnationale Opposition in Ankara gegen die Besserstellung der Nicht-Muslime.



Rasche Rückgabe von Immobilien

Der neue Erlass sieht nun die rasche Rückgabe von Immobilien oder aber eine Entschädigung zum Marktwert vor, falls die Häuser oder Grundstücke inzwischen an Dritte verkauft wurden. Wie der Leiter des Stiftungsamtes, Adnan Ertem, türkischen Zeitungen sagte, haben Christen und Juden auf der Grundlage des Stiftungsgesetzes seit 2008 rund 1.400 Anträge auf Rückgabe von Immobilien gestellt. Wegen diverser Unklarheiten in Gesetzestext und Problemen bei der Umsetzung hätten bisher aber nur 181 Objekte zurückgegeben werden können. Dank des neuen Erlasses könnten nun in einem ersten Schritt gleich 370 weitere Immobilien an die Stiftungen zurückgehen. Die Prozedur zur Rückgabe werde künftig nur noch 15 bis 20 Tage dauern.



Erdogans Vize Bülent Arinc betonte, es handele sich nicht um einen Gefallen für die Nicht-Muslime, sondern um die Sicherung ihrer Rechte als türkische Staatsbürger. Erdogan selbst lud am Sonntagabend Christen und Juden zum Iftar ein, dem Fastenbrechen am Abend eines Fastentages im Ramadan. Auch dort sprach er die neue Verordnung an. Sie behebe Defizite, die bei der Umsetzung bereits beschlossener Gesetze zugunsten nicht-muslimischer Gruppen aufgetreten seien. Und einen weiteren Aspekt nannte er: Nun seien Schwierigkeiten gelöst, die der Türkei seit Jahren international Probleme bereiteten.



Vermeidung von Gerichtsverfahren

Damit spielte Erdogan auf internationale Gerichtsverfahren an, bei denen die Türkei unterlegen war. 2010 hatte das orthodoxe Patriarchat von Konstantinopel nach langem Rechtsstreit den vor Jahrzehnten enteigneten Prinkipo-Palast auf den Prinzeninseln vor Istanbul zurückerhalten. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg hatte schon 2007 einer Klage des Patriarchats gegen die Enteignung im Grundsatz stattgegeben - und die Türkei dann im Juni

2010 zur Rückgabe verurteilt.



Solche Prozesse könnten dank des neuen Erlasses künftig vermieden werden, sagte Stiftungsamts-Chef Ertem. "Es gibt keinen Grund mehr, wegen einer Verletzung von Besitzrechten nach Straßburg zu gehen", sagte er. Das EU-Beitrittsbewerberland Türkei zeigt mit der Entscheidung also nicht nur, dass es rechtliche Probleme der religiösen Minderheiten lösen will. Es vermeidet auch die Blamage, bei internationalen Prozessen am Pranger zu stehen.



Laut Ertem spart Ankara darüber hinaus auch noch Geld. Die angekündigte Entschädigung wird für die Staatskasse zwar teuer. Viele Gebäude, die ehemals christlichen oder jüdischen Stiftungen gehörten, liegen in feinen Vierteln Istanbuls. Ausgaben von umgerechnet rund einer 700 Millionen Euro kämen auf das Finanzministerium zu, berichtet die Zeitung "Vatan" (Montag). Dennoch werde sich die Neuregelung für Ankara lohnen, so Ertem. Der Gesamtmarktwert der betroffenen Immobilien liege bei höchstens 50 Prozent der Zahlungen, die bei weiteren Niederlagen in Straßburg auf die Türkei zugekommen wären.