Auch Zentralrat der Juden kritisiert Libyen-Kurs

"Wertelos und würdelos"

Nach der Kritik aus SPD und Grünen kommen auch aus der Union zunehmend Einwände gegen die Haltung der Bundesregierung im Libyen-Konflikt. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland rügt nun die deutsche Zurückhaltung beim internationalen Militäreinsatz.

 (DR)

Der Präsident des Zentralrates der Juden, Dieter Graumann, nannte die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat "wertelos und würdelos". Die Bundesregierung sei ihren engsten Freunden "illoyal und rechthaberisch" in den in den Rücken gefallen, sagte Graumann "Handelsblatt Online". Dafür sei Deutschland sogar von dem "verrückten Verbrecher" Muammar al Gaddafi öffentlich gelobt worden. "Es ist ein Lob, das den Gelobten mehr schändet als jeder Tadel", rügte Graumann. Nach seiner Ansicht hätte Deutschland der Resolution zur Einrichtung einer Flugverbotszone zustimmen können, ohne sich mit eigenen Soldaten beteiligen zu müssen.



Gegen fast alle EU-Staaten und die USA

"Dass wir am Ende gegen fast alle EU-Staaten und die USA stehen, das hat es noch nicht gegeben", sagte CDU-Vorstandsmitglied Armin Laschet am Mittwoch. Zuvor hatte bereits der CDU-Europapolitiker Elmar Brok Außenminister Guido Westerwelle (FDP) eine diplomatische Fehlleistung vorgeworfen. Kritik kam auch vom ehemaligen NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer und vom früheren deutschen NATO-General Klaus Neumann. Dagegen verteidigte die Unions-Fraktion die Politik der Bundesregierung.



Laschet sagte, Deutschland hätte der Resolution der Vereinten Nationen für die Einrichtung einer Flugverbotszone zustimmen können, ohne sich mit eigenen Soldaten beteiligen zu müssen. "Das haben andere EU-Staaten auch getan." Multilaterales Vorgehen und nationale Entscheidungsfreiheit seien keine Gegensätze.



Ex-General Naumann kritisiert "handwerkliche Plumpheit"

Ex-NATO-General Naumann zeigte sich "maßlos enttäuscht von der handwerklichen Plumpheit" bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat und "dem Hintanstellen des Gebots, auf der Seite derer zu sein, die für ihre Freiheit kämpfen". Deutschland habe sich nicht nur gegen die Amerikaner, sondern auch "gegen Europa gestellt und den Franzosen die Führungsrolle sozusagen unter das Kopfkissen gesteckt, was die kluge deutsche Außenpolitik bisher stets vermieden hat". Jetzt würde die Bundesregierung den Ereignissen nur noch hinterherlaufen.



De Hoop Scheffer bezeichnete die deutsche Enthaltung für Europa, EU und NATO als "nicht hilfreich". Dadurch sei eine komplizierte Situation" in der NATO entstanden. Frankreich und Deutschland seien sich nicht einig: "Das ist nicht gut für die NATO und nicht gut für die Europäische Union."



Westerwelle spricht von bisher "schwierigster Entscheidung"

Außenminister Westerwelle nannte die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat seine bisher "schwierigste außenpolitische Entscheidung". Wenn Deutschland einem militärischen Einsatz zugestimmt hätte, ginge es jetzt nur noch um die Frage, wie viele deutsche Soldaten nach Libyen geschickt werden. Luftangriffe zu fliegen, während die Sanktionsmöglichkeiten noch nicht umfassend ausgeschöpft seien, halte er "für eine Widersprüchlichkeit, die dringend abgestellt werden muss".



Rückendeckung erhielt der Vizekanzler aus der Unions-Fraktion. Die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat sei richtig gewesen, hieß es nach Teilnehmerangaben in einer Sitzung am Dienstag in Berlin. Außenpolitische Experten wie Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff (CDU) wiesen den Vorwurf zurück, Deutschland sei nicht bündnisfähig. In Libyen sei nicht klar, ob es eine demokratische Opposition gebe, die vom Ausland unterstützt werden könne.



Ungewohntes Lob erhielt die Regierung von der Linken. Deren früherer Vorsitzender Oskar Lafontaine sagte der "Sächsischen Zeitung: "Wenn Herr Westerwelle in der Friedensfrage unsere Auffassung teilt, begrüßen wir das." Die Linke unterstütze immer eine Politik, die auf Diplomatie statt auf Militäreinsätze beruhe. Westerwelle habe im UN-Sicherheitsrat richtig gehandelt.



Grüne für Aufnahme von Flüchtlingen

Unterdessen plädieren die Grünen dafür, dass Deutschland als Soforthilfe mindestens 1.000 Flüchtlinge aus Libyen aufnimmt. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte der integrationspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Memet Kilic: "Es reicht nicht, wenn die Bundesregierung den Mut der Libyer lobt und Machthaber Gaddafi scharf verurteilt, sich ansonsten aber aus der Libyen-Krise heraushält." Nach der zögerlichen Haltung zur Flugverbotszone müsse die Regierung endlich Verantwortung für die Menschen in Libyen übernehmen, forderte er.



Ähnlich äußerte sich der SPD-Innenexperte Sebastian Edathy. "Die Bundesregierung kann nicht den Widerstand gegen diktatorische Regime begrüßen, sich aber einen schlanken Fuß machen, wenn Menschen dabei in Not geraten." Kilic und Edathy forderten zugleich einen Verteilungsschlüssel in der EU für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Libyen.