FDP-Vorschlag verunsichert laut Bischofskonferenz die Menschen

Verzicht auf religiöse Werte

Deutsche Leitkultur lässt sich laut dem Zentralrat der Juden in Deutschland nicht mit dem "christlich-jüdischen Erbe" definieren. Eine solche Leitkultur schließe jene aus, die nicht religiös seien, warnte Generalsekretär Kramer. Die Katholische Kirche übt dagegen massive Kritik an der von einigen FDP-Politikern geforderten Abkehr vom christlich-jüdischen Erbe.

 (DR)

DBK: Lindner ignoriert die Geschichte des Wertefundaments Deutschlands

Die Deutsche Bischofskonferenz warf FDP-Generalsekretär Lindner vor, die Geschichte des Wertefundaments Deutschlands zu ignorieren und die Menschen zu verunsichern. Auch aus der CSU kam deutliche Kritik, die CDU äußerte sich zunächst nicht.



Der FDP-Politiker plädierte für ein republikanisches Integrationsleitbild. "Es kommt nicht darauf an, woher jemand kommt, sondern darauf, wohin er will und dass er sich an unsere Regeln hält." Mitte Oktober hatte sich Lindner bereits für eine Stärkung der republikanischen Identität ausgesprochen und beklagt, dass in der Integrationsdebatte "religiöse Werte bedeutsamer scheinen als republikanische".



"Auch künftig prägende Kraft unserer demokratischen Basis"

Der Pressesprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, sagte, das demokratische System Deutschlands basiere auf den Werten, die dem jüdisch-christlichen Erbe zu verdanken seien. "Offensichtlich kennt Herr Lindner noch immer nicht die auch künftig prägende Kraft unserer demokratischen Basis", so Kopp. Seine Infragestellung dieses reichen Erbes für Kultur und Gesellschaft trage zur Verunsicherung der Menschen bei.



Deutsche Leitkultur lässt sich nach Ansicht des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, nicht mit dem "christlich-jüdischen Erbe" definieren. Eine auf solchen Traditionen basierende "Leitkultur" widerspreche den Grundwerten der Verfassung und schließe all jene aus, die nicht religiös seien oder einer anderen Religion als Christentum oder Judentum angehörten.



Er warne davor, durch eine solche Abgrenzung "vermeintliche Gruppensolidarität und -bindung erzeugen" zu wollen, fügte Kramer hinzu. Das beschwöre menschliche Instinkte, die sich kaum beherrschen ließen. Dabei drohten gefährliche Auswirkungen.



Jüdische Gemeinschaft will sich nicht "in gemeinsame Stellung gegen Dritte" bringen lassen

Kramer nannte es erfreulich, wenn sich Teile der deutschen Politik bei den Debatten über die Grundlagen der Gesellschaft "auf den historisch erwiesenen, existenziellen jüdischen Beitrag zur deutschen Kultur besinnen". Allerdings lasse sich die jüdische Gemeinschaft nicht "in gemeinsame Stellung gegen Dritte" bringen. In diesem Punkt stimme er Lindner zu, dass jede Abgrenzung dieser Art nicht tragfähig sei. Der Generalsekretär des Zentralrats verwies auch darauf, dass Christen über Jahrhunderte die Juden verfolgt hätten. Das verschweige die Verwendung des Begriffs "christlich-jüdische Tradition". Das zeige, "wie wenig tragfähig eine auf Religion bauende Gruppensolidarität für eine pluralistische Gesellschaft" sei.



Heute seien, so Kramer, gerade Teile der deutschen Mittelschicht in einer Identitätskrise. Deshalb sei der politische und gesellschaftliche Diskurs unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen richtig und notwendig. Dazu gehörten gerade auch die Religionsgemeinschaften mit ihren prägenden Grundwerten. "Identität kann man nicht verordnen, sie muss behutsam wachsen", so der Generalsekretär.



"die Axt an die Basis der Menschenrechte"

Der CSU-Politiker Johannes Singhammer warf Lindner dagegen vor, "die Axt an die Basis der Menschenrechte" zu legen. Eine Abschaffung des christlich-jüdischen Leitbilds wäre "verhängnisvoll". Lindner, so der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag weiter, "schmähe" den Bezug auf das christlich-jüdische Abendland als "Ausgrenzungsformel" und leugne eine europäische Tradition von 1.600 Jahren. Singhammer warnte, der freiheitliche Staat könne sich nicht neutral gegenüber den Fundamenten seiner eigenen Ordnung verhalten.



Die "Süddeutsche Zeitung" hatte am Donnerstag aus einem Papier unter dem Titel "Sechs Thesen für ein republikanisches Integrationsleitbild von mehreren Abgeordneten zitiert ". Sie betonen unter anderem, das Grundgesetz verlange nach einem "Leitbild, das unabhängig von der Religion oder persönlichen religiösen Überzeugungen ist". Ohne klares Leitbild könne die deutsche Politik keine schlüssige Integrationsstrategie entwickeln. Zu den Autoren des Papiers zählt neben Lindner unter anderen der Kirchenbeauftragte der Fraktion der Liberalen, Stefan Ruppert.