Graumann soll neuer Präsident des Zentralrates der Juden werden

Finanzfachmann und harter Verhandler

Er ist als Finanzfachmann, guter Verwalter und harter Verhandler bekannt. Ob Dieter Graumann (60) auch eine Integrationsfigur für die stark gewachsene jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik werden und ihr eine Stimme in der Gesellschaft verleihen kann, muss sich zeigen.

 (DR)

Am Sonntag jedenfalls soll der in Frankfurt lebende Volkswirt und Immobilienmakler zum neuen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt werden - als Nachfolger von Charlotte Knobloch und im 60. Jahr des Bestehens des Rates. In diesem Amt wäre er der erste, der die Zeit des Holocaust nicht selbst miterlebt hat. Eine Zäsur - erwarten Beobachter doch, dass der künftige Präsident einen Politikwechsel einleiten wird und sich weniger stark auf die Vergangenheit und das Thema Holocaust konzentriert, sondern vor allem auf die Probleme der auf rund 110.000 Mitglieder angewachsenen jüdischen Gemeinden.



"Judentum bedeutet eben nicht nur immer Verfolgung und Elend und Katastrophen", sagte er bei seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche zum Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938. Was nicht heißt, dass der Vater zweier erwachsener Kinder ein Blatt vor den Mund nimmt im Kampf gegen Antisemitismus von Rechts und Links, Islamismus und Rechtsradikalismus. Auch mit Papst und katholischer Kirche legte er sich mehrfach an: So kritisierte er Benedikt XVI. im Mai 2009, weil dieser in der Gedenkstätte Jad Vaschem weder die seiner Meinung nach unheilvolle Rolle der Kirche in der Nazizeit angesprochen noch sich zu den antijüdischen Äußerungen der Piusbrüder geäußert habe.



Aber das Gedenken an die Schoah reicht ihm nicht: "Wir müssen gerade den jungen Leuten die positiven Dinge sichtbarer machen, den Schatz unserer Religion und Gedankenwelt", fordert er. "Sonst wissen wir nur noch, wogegen wir sind, aber nicht mehr, wofür."



Geboren wurde Graumann 1950 nahe Tel Aviv. Die aus Polen stammenden Eltern hatten die Nazi-Konzentrationslager überlebt und waren anschließend nach Palästina ausgewandert. Weil der Vater das heiße Klima nicht vertrug, verließ die Familie das Land aber zu Beginn der 50er Jahre wieder und kam nach Frankfurt, wo Graumann zur Schule ging und Volkswirtschaft studierte.



Ignatz Bubis, früherer Präsident des Zentralrates und davor Chef der Frankfurter jüdischen Gemeinde, ermunterte Graumann Mitte der 90er Jahre, in die Gemeindearbeit einzusteigen. "Von ihm habe ich auch gelernt, dass die Juden sich nicht verstecken dürfen", sagt der künftige Bubis-Nachfolger.



In der Frankfurter Gemeinde, die heute mit mehr als 7.000 Mitgliedern zu den vier größten in Deutschland gehört, ist Graumann Dezernent für Finanzen, Schule, Kultur und Presse. Die Bildung ist ihm besonders wichtig: In einer wertegebundenen Erziehung von Kindern sieht er eine wichtige Gemeinsamkeit von Judentum und Christentum und einen wesentlichen Sinn ihres Dialogs. "Ich bin ein gläubiger Mensch; für mich hängen Werte und Religion eng zusammen."



Außerdem ist der Volkswirt Ehrenpräsident des jüdischen Sportvereins Makkabi Frankfurt und des Verbands jüdischer Flüchtlinge. Seit 2001 gehört er dem Präsidium des Zentralrates an, seit 2006 als dessen Vizepräsident. Graumann ist ein politischer Kopf, der klar Stellung bezieht, aber auch diplomatisch sein kann und über eine große Portion Verhandlungsgeschick verfügt. Immer wieder übertrug ihm der Zentralrat deshalb heikle Missionen: die Verhandlungen mit den liberalen jüdischen Gemeinden über die Integration in den Zentralrat und die Verteilung von Fördermitteln der Bundesregierung etwa; den Kontakt mit den muslimischen Verbänden und Gespräche mit der Bundesregierung über die jüdische Zuwanderung und die Höhe der Integrationshilfen.



Letzteres verweist auf die wesentliche Aufgabe des künftigen Zentralratspräsidenten: die Stärkung der Identität der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Derzeit sind rund 80 Prozent der Mitglieder Zuwanderer aus dem Osten. "Sie werden die Gemeinschaft nachhaltig verändern", meint Graumann.