Generationswechsel beim Zentralrat

Mehr politische Schlagkraft, weniger Gefühl

Die Mitteilung des Zentralrats der Juden war betont sachlich gehalten: « Dieter Graumann hat auf der gestrigen Sitzung des Direktoriums formal seine Kandidatur für die Wahl zum Präsidenten erklärt.“ Die Kandidatur des amtierenden Vizes als Nachfolger für die derzeitige Präsidentin Charlotte Knobloch kommt nicht überraschend.

Autor/in:
Jutta Wagemann
 (DR)

Sie leitet nicht nur einen Generationswechsel an der Spitze des Zentralrats der Juden in Deutschland ein - auch der Stil wird sich ändern. Hinter der knappen Mitteilung verbergen sich Zerwürfnisse innerhalb der politischen Vertretung des Judentums, die Anfang des Jahres Schlagzeilen machten. Im Januar und Februar wurde öffentlich, wie die Stellvertreter Knoblochs, Salomon Korn und Graumann, gemeinsam mit Generalsekretär Stephan J. Kramer an Knoblochs Stuhl sägten. Nach außen wahrte die Männerriege die Loyalität, hinter vorgehaltener Hand machten sie deutlich, wie genervt sie von Knobloch waren.



Die Präsidentin fiel regelmäßig mit politisch naiven Forderungen auf, in Berlin war sie selten präsent, für ihren Generalsekretär schwer erreichbar. Ihr Bonus, den sie als Schoah-Überlebende, aber auch wegen ihres erfolgreichen Einsatzes für den Synagogen-Neubau in München genossen hatte, war verbandsintern aufgebraucht. Anfang Februar erklärte die 77-Jährige schließlich offiziell, dass sie für eine zweite Amtszeit nicht zur Verfügung steht.



Letzte Holocaust-Überlebende an der Spitze

Damit tritt die erste Frau und die letzte Holocaust-Überlebende an der Spitze des Zentralrats ab. Knobloch versuchte das Amt so auszufüllen wie ihre Vorgänger: als Mahnerin und Warnerin - vor wieder auflebendem Antisemitismus, vor Rechtsextremismus. Sie forderte ein NPD-Verbot, sie besuchte KZ-Gedenkstätten - und bewegte, wenn sie das Wort ergriff. Bei der Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht in Berlin erinnerte sie sich unter Tränen daran, wie sie 1938, als Sechsjährige, an der Hand ihres Vaters an den zerstörten jüdischen Geschäften ihrer Heimatstadt München vorbeiging, "die so plötzlich meine Heimat nicht mehr war". Ihre Tränen von damals hätten sie ihre ganzes Leben lang begleitet.



Knoblochs Großmutter, bei der sie nach der Scheidung ihrer Eltern aufwächst, wird 1942 deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet. Knoblochs Vater muss Zwangsarbeit leisten, überlebt aber. Charlotte Knobloch übersteht den Krieg und die Judenvernichtung, weil eine frühere Hausangestellte ihres Vaters die kleine Charlotte als ihr eigenes Kind ausgibt.



Mit Dieter Graumann kommt eine neue Generation an die Spitze des Zentralrats. Graumann wurde 1950 in Israel geboren. Der Geburtsort ist kein Zufall: Der Ermordung durch die Nazis knapp entronnen, wanderten seine Eltern nach dem Krieg nach Israel aus. Aus gesundheitlichen Gründen kehren sie nach Deutschland zurück und ändern den Vornamen ihres Sohnes von David in Dieter - er soll in der Schule nicht gleich als Jude auffallen.



"Ich war nicht im Holocaust, aber der Holocaust ist in mir", sagt Dieter Graumann. Dass die Erinnerung an die Vernichtung des europäischen Judentums fester Bestandteil der Arbeit des Zentralrates bleiben soll, nimmt dem 60-jährigen Immobilienmakler aus Frankfurt jeder ab.



Auch auf anderen Feldern spielen

Doch Graumann will als Zentralrats-Präsident heraus aus der "Dauermeckerecke". Die Juden in Deutschland sollen nicht länger nur als "traurige Opfer von früher oder lästige Dauermahner von heute" wahrgenommen werden. Graumann will auch auf anderen Feldern spielen, zum Beispiel in der Integrationspolitik. Durch die Einwanderung von rund 100.000 Juden aus der ehemaligen Sowjetunion haben die jüdischen Gemeinden damit Erfahrung gesammelt.



Charlotte Knobloch beendete ihre Rede zum Gedenken an die Reichspogromnacht mit einem Satz des Auschwitz-Überlebenden Henrik Mandelbaum: "Ich bitte euch um alles auf der Welt, lasst euch von niemandem einreden, wen ihr zu lieben und wen ihr zu hassen habt." Dieter Graumann passt mit seinen prägnanten Formulierungen und seiner Lust an der Polemik womöglich besser in diese Zeit. Doch die Authentizität und die Inbrunst von Charlotte Knobloch werden dem Zentralrat künftig fehlen.