Papst ruft in Synagoge zu Dialog und Versöhnung auf

Neuer Brückenschlag über den Tiber

Papst Benedikt XVI. ruft Juden und Christen auf, den Weg der Aussöhnung und des Dialogs fortzusetzen. Die Neuorientierung der katholischen Kirche im Konzil sei unwiderruflich, versicherte er am Sonntag bei seinem ersten Besuch in der Synagoge von Rom. Mit Nachdruck beschwor er die Gemeinsamkeiten der beiden Religionen und forderte ihre Angehörigen auf, trotz bestehender Differenzen zusammen für eine bessere Welt zu arbeiten.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Mit aller Entschiedenheit verurteilte Benedikt XVI. jeden Antisemitismus und entschuldigte sich für das Fehlverhalten von Christen gegenüber jüdischen Mitbürgern. Die Schoah sei ein einzigartiges Drama gewesen, ein Gipfelpunkt des Hasses, stellte das Kirchenoberhaupt klar.

«Christen und Juden haben einen großen Teil ihres geistigen Erbes gemeinsam, sie beten zum gleichen Gott, haben die selben Wurzeln und bleiben sich trotzdem gegenseitig fremd», sagte der Papst in seiner Rede. Mit seinem Besuch in der römischen Synagoge wolle er den bisherigen Dialogs- und Versöhnungsprozess fortsetzen, bestätigen und vertiefen, stellte Benedikt XVI. klar.

«Mögen die Wunden des Antisemitismus für immer heilen», sagte der Papst unter großem Applaus. Konkret ging er auf die jüdische Gemeinde Roms und die Verfolgung während der deutschen Besatzung ein: «Wie kann man an dieser Stelle nicht an die römischen Juden erinnern, die aus diesen Häusern, von diesen Mauern weggezerrt wurden, und die in schrecklicher Qual in Auschwitz getötet wurden?».

Die von den Nazis in Europa geplante und vollstreckte Ausrottung des jüdischen Volkes habe damals auf tragische Weise auch Rom erreicht. «Leider blieben viele gleichgültig, aber viele, darunter auch italienische Katholiken», hätten mutig reagiert und unter Einsatz des eigenen Lebens Juden versteckt und gerettet. «Auch der Heilige Stuhl entfaltete eine Hilfsaktion, oft im Verborgenen und diskret», erinnerte der Papst. Seinen Vorgänger Pius XII. (1939-58), dessen Seligsprechungsprozess im Vorfeld für vatikanisch-jüdische Spannungen gesorgt hatte, nannte er namentlich nicht.

Gemeinsam hätten Juden und Christen das ethische Grundgesetz der Zehn Gebote. Dies mache die Besonderheit ihrer Beziehungen aus, unterstrich der Papst. Gemeinsam müssten beiden Religionen sich daher für die Achtung und Bedeutung Gottes in einer Welt einsetzen, die das Übernatürliche oft für überflüssig hält und die sich neue Götter schafft. Gemeinsam müssten sie für den Schutz des Lebens, für Freiheit, Gerechtigkeit und «Shalom» (Frieden) eintreten. Die Zehn Gebote verpflichteten Juden und Christen weiter zum Schutz der Familie und zur tatkräftigen Solidarität mit Armen, Kranken, Fremden, Kindern, Schwachen und Bedürftigen.

Seit der Neuausrichtung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) habe es viele Begegnungen Gesten, Dokumenten, und Dialogrunden von Juden und Katholiken gegeben. Als einen Höhepunkt bezeichnete er den Besuch von Johannes Paul II. in der römischen Synagoge 1986. Auch er selbst wollte seit seinem Amtsbeginn immer wieder seine Verbundenheit mit dem «Volk des Bundes» bekunden. Ausdrücklich verwies er auf seine Besuche im Heiligen Land sowie in den Synagogen von Köln und New York.

Der Besuch des Papstes im zwei Kilometer vom Vatikan entfernten jüdischen Gebetshaus auf der anderen Seite des Tibers wurde von strengen Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Der Sitz der jüdischen Gemeinde Roms war weiträumig abgesperrt. Hubschrauber kreisten über der Fahrtroute des Papstes, die bis zum letzten Moment geheimgehalten worden war.

Die Feier begann mit einer Schweigeminute für die Erdbebenopfer von Haiti. Der Präsident der jüdischen Gemeinde Roms, Riccardo Pacifici, dankte anschließend dem Papst für die Ehre des Besuchs und rief Christen und Juden zum gemeinsamen Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile auf.

Pacifici äußerte sich ebenfalls zur Situation seiner Gemeinde während der NS-Verfolgung in Rom. Er dankte christlichen Konventen, die Juden versteckt hielten, und begrüßte anwesende Ordensschwestern. Aber er ging auch kritisch auf Papst Pius XII. ein: «Das Schweigen von Pius XII. zur Schoah schmerzt auch heute als versäumte Tat. Vielleicht hätte er nicht die Todeszüge stoppen können, aber er hätte diesen unseren Brüdern ein Signal, ein Wort der Bestärkung, der menschlichen Solidarität sagen sollen, die zu den Schornsteinen von Auschwitz transportiert wurden.» Ausdrücklich sprach sich Pacifici für eine Öffnung der vatikanischen Archive aus.

Noch vor Betreten der Synagoge hatte der Papst einen Kranz niedergelegt am Gedenkstein für die 1.021 Bewohner der jüdischen Ghettos, die am 16. Oktober 1943 von den Nazis deportiert worden waren. Nur 17 von ihnen waren später lebend zurückgekehrt. Außerdem kam es zu einer sehr herzlichen und bewegenden Begegnung des Papstes mit dem inzwischen 95-jährigen früheren römischen Oberrabbiner Elio Toaff, der 1986 Gastgeber von Johannes Paul II. war.