Juden kritisieren "Tugendgrad" für Pacelli-Papst

"Traurig und wütend"

Mit Verwunderung und Kritik haben Vertreter des Judentums im In- und Ausland auf die Zuerkennung des "heroischen Tugendgrades" für Papst Pius XII. (1939-58) reagiert. Er sei "traurig und wütend", sagte der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, laut Medienberichten vom Wochenende. Er bezeichnete es als "absolut verfrüht, diesen Schritt zu machen". Die katholische Kirche versuche, "eine andere Geschichte zu schreiben".

 (DR)

Kritiker werfen dem Pacelli-Papst vor, er habe nicht laut genug gegen die Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg protestiert. Die Zuerkennung des «heroischen Tugendgrades» ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Seligsprechung.

Der Großrabbiner von Frankreich, Gilles Bernheim, erklärte am Sonntag in Paris, er hoffe darauf, dass der Vatikan von einer Seligsprechung Pius XII. absehe. Die Vorbereitungen hierfür seien zu einem «Symbol des Papsttums von Benedikt XVI.» geworden und schadeten dem jüdisch-christlichen Dialog.

Falls die Entscheidung des Papstes ein definitives Urteil über die historische Leistung des Pacelli-Papstes darstelle, «bleibt unsere Bewertung kritisch», heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Roms Oberrabbiner Riccardo Di Segni, vom Präsidenten der jüdischen Gemeinden Italiens, Renzo Gattegna, und dem Präsidenten der jüdischen Gemeinde Roms, Riccardo Pacifici, vom Samstag.

Es wäre besser gewesen, die vollständige Öffnung der Vatikan-Archive abzuwarten. Freilich wolle man sich «in keiner Weise in eine interne Angelegenheit der Kirche einmischen», so die Erklärung.

Auch Rabbiner David Rosen, Berater des Jerusalemer Großrabbinats in Dialogfragen und Kontaktmann in vatikanischen Dialoggremien, äußerte sich gegenüber der Zeitung «Corriere della Sera» vom Sonntag zurückhaltend. Die Entscheidung des Papstes über Pius XII. zeige «keine große Sensibilität gegenüber der Besorgnis der jüdischen Gemeinschaft». Rosen äußerte die Hoffnung, dass im Vatikan keine Beschleunigung für das Verfahren des Pacelli-Papstes einsetze.

In der gleichen Zeitung kritisierte auch Amos Luzzatto, der frühere Präsident der jüdischen Gemeinden Italiens, die Entscheidung aus dem Vatikan. «Ich weiß nicht, was heroischer Tugendgrad in theologischer Sicht bedeutet. Im allgemeinen Verständnis ist ein Held jemand, der das eigene Leben zum Schutz anderer einsetzt». Wenn sich die Zweifel über das Schweigen von Pius XII. zur Schoah nicht zerstreuten, «öffnet dessen Seligsprechung eine für die jüdische Welt schwer heilbare Wunde». Dies habe Folgen für den jüdisch-christlichen Dialog, der ein «kostbares Niveau» erreicht habe, dann aber Schaden nehmen werde.